Gottes Gehirn
sind wir es.“
„Haben Sie damals auch auf dieser Konferenz dafür geworben?“
„Ich verstehe nicht.“
„Auf der Blake-Konferenz. 1995.“
„Wie kommen Sie denn jetzt darauf?“ Marconis Begeisterung über seine wissenschaftlichen Erkenntnisse war mit einem Male verflogen. Sein Mund wurde hart, seine Augen starr. Auch Jane hatte sich verändert. Sie blinzelte nicht mehr naiv durch ihre Brille, sie sah nicht mehr grau und unscheinbar aus, ihr Körper hatte sich gestrafft und war nur noch geballte Aufmerksamkeit. „Interdisziplinäre Zusammenarbeit“, sagte sie und zeigte auf ihren Collegeblock. „Das war das Stichwort.“
„Ich möchte über diese Konferenz nicht sprechen.“
„Warum nicht?“, fragte Troller. „Wir haben inzwischen einige der damaligen Teilnehmer interviewt und...“
„Einige der damaligen Teilnehmer sind inzwischen tot!“, schrie Marconi. Das Ausbruch kam so unerwartet, dass selbst Jane zusammenzuckte. „Glauben Sie, das lässt mich kalt?“
„Nein, nein“, sagte Jane, „ganz bestimmt nicht. Aber vielleicht könnten Sie uns helfen?“
„Wer sind Sie? FBI?“
„Wir sind deutsche Journalisten“, sagte Troller. „Wir machen eine Serie über die Aussichten der Wissenschaft in unserem neuen Jahrtausend. Das haben wir Ihnen gestern am Telefon deutlich gesagt. Aber natürlich ist uns nicht verborgen geblieben, dass . . .“
„Dass dieser Wahnsinnige Gehirne klaut? Dass er uns alle umbringen will?“
„Wer?“, fragte Jane elektrisiert.
„Ich sage überhaupt nichts mehr“, flüsterte Marconi. „Ich habe schon zu viel gesagt.“ Er rannte ganz plötzlich wieder aus dem Zimmer, diesmal mehr in Panik als aus Quirligkeit. „Laura!“, rief er, als er auf dem Gang war. „Hinterher“, sagte Jane. Troller und Jane folgten ihm. „Laura!“ Sie erreichten alle drei gleichzeitig eine leuchtend gelb gestrichene Tür, auf der ein blau eingefasstes Schild angebracht war: Dr. Laura Marconi.
Marconi war vor der Tür stehen geblieben. Sein Gesicht war immer noch angstverzerrt, aber er atmete jetzt durch und bemühte sich, seine Fassung wiederzugewinnen. „Regen wir uns alle etwas ab“, sagte er. „Wir sind ganz ruhig“, sagte Jane.
„Okay.“ Er drückte die Klinke hinunter, öffnete die Tür und ging zusammen mit Jane und Troller in das Vorzimmer. Hinter einem schlichten Metallschreibtisch saß eine ältere Frau, die noch unscheinbarer wirkte, als Jane es selbst mit Hilfe des teuersten Hollywood-Maskenbildners hätte hinkriegen können. Offenbar war sie Laura Marconis Sekretärin.
„Ist sie in ihrem Büro?“, fragte Marconi und zeigte auf die nächste Tür.
„Ja“, sagte die Sekretärin, „aber sie will nicht gestört werden.“
„Wir wollen auch nicht stören“, sagte Marconi und öffnete die Tür, ohne anzuklopfen. „Kommen Sie“, sagte er und schob Jane durch die Tür.
„Enzo, wen hast du denn nun schon wieder . . .“, hörte Troller eine energische weibliche Stimme sagen, die aber, als er selber durch die Tür ging, mitten im Satz abbrach und „Oh“, sagte. „Gehören Sie zusammen?“
Das war also Laura Marconi. Sie war etwa Mitte Fünfzig und immer noch eine schöne Frau. Sie hatte rötlichbraune Haare mit ein paar blonden Strähnen, braune Augen, eine kleine, etwas zu breite Nase und volle, sinnliche Lippen. An der Art, wie sie Jane musterte und ihn herausfordernd anschaute, erkannte Troller, dass Laura Marconi zu den Frauen gehörte, die es nicht ertrugen, wenn eine andere schöner war
als sie. Spieglein, Spieglein an der Wand. Und je älter sie wurde, desto unscheinbarer mussten wahrscheinlich die Frauen sein, die es noch wagen durften, ihr unter die Augen zu treten, wenigstens in Gegenwart ihres Mannes. Troller bewunderte einmal mehr Janes psychologisches Gespür. Sie hatte das Foto von Laura in der Marconi-Akte gesehen und sich offenbar ihren Reim darauf gemacht.
Mrs. Marconi saß vor einem Computer mit gewaltigem Bildschirm, auf dem ein verwirrendes Labyrinth verschlängelten, zerfurchten Gewebes zu sehen war. Patient 1713bs stand über dem Bild. Sie war unter Kollegen dafür berühmt, dass sie mit Hilfe eines Computerprogramms Gehirne millimeterweise auseinander nehmen und wieder zusammensetzen konnte. So sollte nach und nach eine möglichst genaue und detaillierte Landkarte des Gehirns entstehen.
„Was gibt es?“, fragte Laura Marconi.
„Miss Anderson und Mr. Troller sind Journalisten aus Deutschland“, sagte Marconi. „Sie haben mich nach der
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