Gottes kleiner Finger - [Thriller]
Offenbar wirkten die Kampfdrogen doch!
Katharine öffnete die Augen. Ihr war nicht mehr schwindelig. Ruhig betrachtete sie den schmalen Rand und dessen schwaches Geländer ebenso wie die nach beiden Seiten entsetzlich steil abfallende Turmwand.
Sie ließ den Türpfosten los und trat auf den Fahrstuhlabsatz hinaus. Sie warf einen raschen Blick zu den Hubschraubern hinüber. Dann nahm sie zwei weitere Schritte, und plötzlich befand sie sich schon auf dem leicht geschwungenen, um den Turm herumführenden Rand und strebte mit zielstrebigen Schritten auf das Wrack des Luftschiffs zu. Sie bewegte sich jetzt schneller, als sie es wegen des schweren Seilbündels auf ihrer Schulter jemals für möglich gehalten hätte.
Der Turmrand war so schmal, dass Katharine weit nach unten sehen konnte, obwohl sie den Blick fest auf das Wrack der Desert Queen gerichtet hielt und sich bemühte, nicht nach unten zu schauen.
»Oh Gott«, stöhnte Jaime, der ihr folgte, jedoch viel langsamer.
Als Katharine sich umdrehte, sah sie, dass Jaime sich auf beiden Seiten fest ans Geländer klammerte. Langsam und vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, ohne die Füße vom Beton abzuheben. Große Schweißtropfen perlten ihm vom Gesicht. Katharine wurde klar, dass Jaime bei diesem Tempo mindestens eine halbe Stunde brauchen würde, bis er das Luftschiff erreicht hatte. Katharine selbst hatte schon fast die Hälfte des Wegs zurückgelegt.
Das Cockpit des Luftschiffs brannte immer noch.
Ich muss wohl allein zurechtkommen, dachte Katharine. Sie zuckte ein wenig zusammen, als sie plötzlich, jetzt erst, bemerkte, dass sie das Geländer noch nicht einmal mit der Hand berührt hatte. Sie war mit geradem Rücken, den Kopf selbstsicher erhoben und ohne sich festzuhalten, auf dem schmalen Betonstreifen, der sich zwischen den zwei senkrechten, drei Kilometer hohen Wänden befand, entlanggeschritten.
Diese Tabletten von Lauri sind durchaus nicht übel, dachte Katharine, ich könnte danach sogar süchtig werden. Zumindest dann, wenn ich das Bergsteigen zu meinem Hobby mache.
Plötzlich bemerkte sie fern am Horizont etwas wie einen lang gestreckten Staubstreifen, der die zum Sonnenturm führende Straße auf breiter Front bedeckte, sicherlich auf einer Länge von vielen Kilometern. Als sie genauer hinsah, hatte sie den Eindruck, als setzte sich die Staubwolke aus Dutzenden von kleinen Säulen zusammen. Kehrte das motorisierte Bataillon zurück, oder handelte es sich um etwas anderes?
Aber darüber konnte sie jetzt nicht nachdenken. Außerdem waren die Fahrzeuge, welche es auch immer waren, bestimmt noch mindestens zweihundert Kilometer entfernt. Vielleicht noch weiter.
Einer plötzlichen Eingebung folgend wandte Katharine sich der Straße zu, die von der Oase Siwa nach Süden führte. Auch dort war eine Reihe von Staubsäulen zu erkennen, vielleicht fünfzig oder sechzig.
Hoffentlich sind das Kolonnen der ägyptischen Armee, die zurückkehren, dachte Katharine. Unser altes motorisiertes Bataillon kommt aus der einen Richtung, und zu seiner Unterstützung ist von irgendwo anders her ein gleich starker Truppenteil entsandt worden. Sie befürchtete jedoch, dass die Staubsäulen, die sie sah, in Wirklichkeit etwas ganz anderes ankündigten als Truppen der ägyptische Armee, die zu ihrem Schutz entsandt worden waren.
Für einen Augenblick schaute sie direkt nach unten. Der Rand des Turms war so schmal, dass es ihr vorkam, als stünde sie in drei Kilometern Höhe im Leeren. Es war, als gäbe es unter ihren Füßen nichts. Überhaupt nichts. Dank der Kampfdroge bewirkte der Anblick aber nicht, dass sie sich vor Angst zusammenkrümmte.
Ein plötzlicher Windstoß kam aus der Wüste herangebraust und versetzte ihr einen Schlag wie eine Faust. Er packte das Seilbündel, das ihr über den Rücken hing, sodass sie heftig schwankte. Einen Augenblick lang fürchtete sie, über das Geländer in die schwarze Leere des Sonnenschornsteins zu stürzen, und die Angst verursachte ihr einen schneidenden Schmerz im Bauch. Dann fand sie ihr Gleichgewicht wieder. Aber ihr Herz hämmerte jetzt stärker. Deutlich hörte sie seine Schläge als dumpfen Klang in den Ohren.
Auch die nächstgelegene Hotchkiss begann zu feuern. Katharine sah sich um und stellte fest, dass beide Luftabwehrmaschinengewehre auf den ersten Hubschrauber feuerten. Die Kugelregen der Leuchtspurmunition zerrissen den Himmel. Sie kamen einander und dem Hubschrauber näher, und schließlich schnitten
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