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Gottes Tochter

Gottes Tochter

Titel: Gottes Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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schreit dich an?«
    »Nein, er… redet laut, so… entschieden, und du weißt, Entschiedenheit und Rico, das passt selten zusammen.« Sie überlegte, ob sie einen Schluck trinken sollte. »Warum sagst du nichts?«
    »Tschuldige«, sagte Hanna. Sie machte eine Pause, dann hörte Marlen sie schlucken. »Brauchte dringend ein Stück Schokolade, die ist aus Belgien, hat mir meine Kollegin mitgebracht…«
    »Dann trink ich einen Schluck.« Marlen trank und hielt das Glas schräg in der Hand. Auf einmal war es leer. »So was Blödes!«
    »Was ist?«, fragte Hanna.
    Marlen stellte das Glas hin. »Ich weiß nicht, was passiert, wenn ich sie wegschick, einerseits macht sie einen offenen Eindruck, andererseits kommt sie mir vor wie eine Schauspielerin, die eine Rolle spielt, und ich kann nicht einschätzen, welche Wirkung sie auf Rico hat.«
    »Schlafen sie zusammen?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Hast du ihn nicht gefragt?«
    »Natürlich nicht. Was glaubst du, wie er reagiert, wenn ich ihn so was frage! Und ich hab auch kein Recht dazu, würdest du das tun?«
    »Klar.«
    »Du bist anders als ich.«
    »Genau«, sagte Hanna. »Ich werd fett vor lauter Schokolade, und du wirst nachgiebig vom Schnaps.«
    »Dann sag mir, was ich machen soll.« Marlen stand auf, ging zum Kühlschrank, öffnete ihn, schaute die schmale Flasche mit dem österreichischen Etikett an, die in der Tür neben der Milchtüte und der Ketschupflasche stand, schmeckte im Gaumen einen Hauch von Aprikose und schloss die Tür.
    »Schick sie weg«, sagte Hanna.
    »Und wenn sie nicht geht?«
    »Dann schmeißt du sie raus.«
    Wieder hörte Marlen ein leises Schmatzen am anderen Ende der Leitung.
    »So wie du deine Männer immer rausschmeißt«, sagte Marlen.
    »Genau so«, nuschelte Hanna.
    Marlen horchte. Aus dem Wohnzimmer war nichts zu hören, keine Stimme, kein Geräusch. Was machten sie, warum unterhielten sie sich nicht? Hatten sie sich auf die Couch gesetzt und hielten weiter Händchen? Normalerweise schaltete Rico nach dem Essen sofort den Fernseher ein.
    »Das Zeug ist eine Droge«, sagte Hanna.
    »Ich hab versucht sie rauszuschmeißen«, sagte Marlen mit gedämpfter Stimme.
    »Ich hab dich nicht verstanden.«
    Marlen lehnte sich mit dem Rücken ans Fensterbrett.
    »Sie geht nicht, sie sagt, sie geht, aber sie geht nicht. Und Rico verteidigt sie.«
    »Und Weihnachten? Hat er dir nicht erzählt, was da gelaufen ist?«
    »Er war betrunken, das hat er erzählt. Und sie waren auf der ›Independia‹, er und sie.«
    »Und was haben sie da gemacht?«
    »Das weiß ich nicht. Und eigentlich geht mich das nichts an. Rico ist zweiundzwanzig!« Jetzt war sie laut geworden, wie er.
    Sie drückte das Handy an die Schulter und lauschte wieder.
    »Ja«, sagte Hanna. »Er ist zweiundzwanzig und er wohnt bei dir.«
    »Bitte?« Sie hatte das Gerät nicht wieder ans Ohr gehalten.
    »Ich sag, dafür, dass dein Sohn zweiundzwanzig ist, lebt er ganz schön wohlig bei dir.«
    »Wir leben zusammen, das ist ein Unterschied«, sagte Marlen.
    »Wie klingt das denn? Ihr lebt zusammen!«
    Marlen hörte ein Rascheln am Telefon. »Gib mir einen Rat, Hanna, ich mag das Mädchen nicht in der Wohnung haben, ich kann dir nicht erklären, wieso, sie… sie löst was in mir aus, das möcht ich nicht, das ist…«
    »Was löst sie in dir aus? Wut? Schmeiß sie raus, Marlen, es ist deine Wohnung, dazu hast du ein Recht, wie du immer sagst. Schmeiß sie raus und schick sie zurück in den Westen.«
    »Darum gehts doch nicht.«
    »Worum gehts nicht?«
    »Ob sie aus dem Westen kommt.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Bitte?«
    »Woher willst du wissen, dass es nicht darum geht? Sie benimmt sich, wie sich die ganze BRD benommen hat, besitzergreifend und arrogant.«
    »Fang nicht wieder damit an! Komm endlich in der Gegenwart an, Hanna! Bei jeder Gelegenheit packst du deine Vorurteile aus, ich will davon nichts mehr hören.«
    »Das sind keine Vorurteile, das sind Erfahrungen. Und die hast du genauso gemacht wie ich.«
    »Hab ich nicht«, sagte Marlen.
    »Hast du, mein Schatz«, sagte Hanna und kaute, während sie weiterredete. »Wo ist dein Exmann hin? An den Aralsee? In den Westen ist er! Wie meiner. Und Ilse, hast du unsere Ilse vergessen? Weißt du nicht mehr, warum sie sich aus dem Fenster gestürzt hat?«
    »Weil sie Depressionen hatte.«
    »Und warum hatte sie Depressionen?« Hanna hustete.
    »Weil das alles sie fertig gemacht hat, weil die anderen so viel geschickter waren als sie, die

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