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Gottes Tochter

Gottes Tochter

Titel: Gottes Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Bauch war weiß und flach, so wie er ihn in Erinnerung hatte, als sie auf dem Schiff waren, in der Nacht… Und er sagte: »Warum denn?«
    Warum denn? Es war ihm klar, wie absurd die Frage klang, aber nichts anderes wollte er sagen. Seine Gedanken schoben die Worte zum Mund hinaus, und er hörte ihnen zu.
    »Warum denn?«
    »Hab keine Angst«, sagte Julika.
    Er hatte wieder nicht zugehört. Er horchte noch seiner Frage nach.
    »Was?«, sagte er.
    »Ich werd es nicht bekommen, hab keine Angst.«
    »Was?«, sagte er. Dann drückte er beide Hände, so fest er konnte, gegen seine Wangen und die Daumen in die Ohren. Er hörte sich sprechen, als hause ein anderer in ihm. »Du kannst doch gar nicht schwanger sein. Ich hab doch gut aufgepasst!«
    Sie antwortete nicht. Er nahm die Hände herunter. Unter der Tür sah er, wie im Flur das Licht ausging.

9
    E r hatte Gedanken. Das mochte er nicht. Wenn er zu viel denken musste, verirrte er sich, das war früher schon so gewesen, in der Schule. Er lernte Dinge auswendig, er begriff sie auch, er merkte sich Namen von Städten, mathematische Gleichungen und Geschichtsdaten, Jahrestage von Revolutionen, in Prüfungen rief er sein Wissen ab und danach vergaß er das meiste, und das war ihm recht. Wenn er darüber nachdachte, was er einmal werden wollte, bekam er Kopfschmerzen, oder wenn seine Mutter mit ihm über russische Romane sprach oder etwas anderes, das ihn überforderte.
    »Was meinst du damit?«, fragte er plötzlich und holte Luft und hielt sie an wie ein Kind. Dann sagte er: »Mit dem von vorhin. Was meinst du damit?« Aus einem Grund, der ihn erschreckte und zugleich eigenartig ermutigte, wünschte er, seine Mutter käme ins Zimmer, er bildete sich ein, im Flur ihre Schritte gehört zu haben. Es war nichts Konkretes, was er von ihr erhoffte, und schon gar nicht hätte er ein Wort von dem erwähnt, was Julika ihm gerade gesagt hatte. Er dachte nur, durch das bloße Hereinkommen seiner Mutter würde sich seine Erstarrung vielleicht lösen.
    Rico hatte Gedanken, und sie hörten nicht auf. Niemand kam herein. Und darüber war er froh. Er atmete aus.
    »Sag was«, sagte Julika. Er sagte: »Leg dich neben mich.«
    Seine rechte Hand ruhte auf ihrem Bauch, unter dem Pullover, ihre linke Hand darüber, auf dem Pullover, die Finger in entgegengesetzter Richtung. Manchmal hörten sie auf der Straße ein Auto.
    Wenn Julika zu Hause in ihrem Bett lag, war es nie so still, obwohl ihr Zimmer zum Hinterhof ging. Stimmen von Leuten vor dem Kino und den Kneipen, das Aufheulen von Motoren und Hupen waren durch das gekippte Fenster trotzdem zu hören, und seit sie ein Kind war, empfand sie in dieser Geräuschumgebung Geborgenheit. In ihr Tagebuch hatte sie geschrieben: Solange ich die Stadt höre, bin ich ein Teil dieser Welt, und auch wenn ich nichts Besonderes bin, will ich versuchen, einen Schatten zu werfen, für den die Sonne sich nicht schämen muss. In der Stille von Ricos Zimmer dachte sie an ihre Stadt wie an einen Ort, der nur noch in ihrer Vorstellung existierte. Und in dieser Vorstellung war alles aus tiefer Erde hervorquellende Furcht.
    Unter seiner Hand hob und senkte sich ihr Bauch.
    »Entschuldige«, sagte sie und blinzelte zur Zimmerdecke hinauf.
    »Woran denkst du?«, fragte Rico.
    Sie war sich sicher gewesen, er hätte ihre Gedanken auf ihrer Stirn lesen können wie einen Teletext auf dem Fernseher, er sah sie doch die ganze Zeit an! Sie antwortete nicht.
    »Dein Herz explodiert gleich«, sagte er.
    »Dann musst du den Zünder entschärfen«, sagte sie und kam sich vor wie eine Schauspielerin in einem Actionfilm. Weil Rico die Hand nicht von ihrem Bauch nehmen wollte, sein linker Arm aber unter seinem schräg daliegenden Körper eingeklemmt war, beugte er sich vor und legte behutsam den Kopf auf ihren Busen. Er spürte die Wolle des Pullovers und traute sich nicht, mit der Wange fester zu drücken. Gefangen in der Beobachtung des anderen, weniger durch Blicke als durch übernahe Hautbeschattung, blieb ihnen ein Schweigen, das sie einander fast entfremdete, so ungeübt waren sie darin.
    Als Julika den Kopf hob, ging ihr Blick an Rico vorbei hinauf zu einem Holzbrett voller Bücher in unterschiedlichen Farben und Größen. Ein Buch mit einem roten Rücken ragte hervor, und Julika richtete sich auf, Ricos Hand rutschte von ihrem Bauch, und sie streckte den Arm aus.
    Es war ein Kinderbuch. Die Seiten waren vergilbt und die Illustrationen in Schwarzweiß. Auf dem bunten

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