Gottes Tochter
klar, dann wären wir da rein, hätten die Hools eingekesselt und platt gemacht. Wie zu DDR-Zeiten. Dafür war die NVA da, dass sie für Ordnung sorgt. Und dafür ist die Polizei da, damit sie für Ordnung sorgt. Wir durften aber nicht.
Inzwischen fing es an zu brennen, Müllcontainer gingen in Flammen auf, Sie werden sich an die Bilder erinnern. Es war Nacht, überall Flammen und dazwischen tausende von Leuten, natürlich waren auch Kinder und Jugendliche da. Natürlich waren die da. Da war ja was los, da war Action, die sind da mit reingeraten, wie man in so was eben mit reingerät. Wir waren mit unserer Hundestaffel vor Ort, aber wir kamen nicht voran. Erst hieß es, wir sollten die Straße sichern, Deeskalation, großartig! Deeskalisieren Sie mal Leute, die gar nichts machen! Die machten doch nichts! Manchmal flogen Steine, ja, es war zu dunkel, um zu erkennen, woher die kamen, man sah die brennenden Container, und dann brannte es auch im Haus, aber sonst war es dunkel, und es waren auch viel zu viele Leute unterwegs.
Irgendwann wandte sich alles gegen uns, irgendwann waren wir die Zielscheibe des Mobs, nicht mehr das Haus und die Vietnamesen, die da drin eingeschlossen waren. Die sollten wir ja auch noch rausholen, aber wie? Wir kamen nicht an das Haus ran. Dann war der Wasserwerfer leer.
Und jetzt zu den Jugendlichen. Die liefen da rum, das haben wir erst später mitbekommen, die haben natürlich auch getrunken, hat ja jeder getan. Das Ganze ging doch schon seit Tagen. Das war ja friedlich am Anfang, da lungerten die Rumänen rum, die auf ihren Asylantrag warteten, campierten auf der Wiese, war ja Sommer, das war erst friedlich. Dann gab es Proteste von Anwohnern, die Proteste wurden nicht gehört, die Behörden waren überfordert, die Rumänen fingen an zu randalieren. Da haben sich die Leute gewehrt. Verständlich.
Es war Sommer, Wochenende, die Leute hatten Zeit. Dass die jungen Leute ins Haus rein sind und Feuer gelegt haben, das haben wir erst viel später begriffen. Und ob sie wirklich die Ersten waren, ist nicht einmal erwiesen. Sie waren im Haus, das steht fest. Eine ganze Gruppe. Sie haben die Namen in der Akte gelesen, Rico war dabei, Juri, seine Freundin – die Ale war damals schon seine Freundin, ich kannte die ja gut. Und dann sprang dieser Mann aus dem Fenster. Sie können sich vorstellen, wie lange es dauerte, bis der Sanitätswagen durch die Menschenmassen kam. Ich war dort, ich selbst hab den Verletzten nicht gesehen, mein Kollege hat ihn gesehen, Wilhelm, übrigens der Vater von Juri. Der ist jetzt nicht mehr bei der Polizei, das ist eine andere Geschichte.
Wilhelm war direkt am brennenden Haus, der bewusstlose Vietnamese wurde abtransportiert und starb im Krankenhaus. Er ist verblutet. Der Arzt sagte aus, der Mann sei vermutlich nicht vom Sturz gestorben, eine Glasscherbe habe seine Halsschlagader aufgeschlitzt, vor dem Sprung. Wir haben jeden Einzelnen verhört, der in dem Haus war, darauf können Sie sich verlassen, Kollege Süden. Trotz des Chaos und der vollkommen unübersichtlichen Situation ist es uns gelungen, die, die drinne waren, rauszufiltern. Wobei man sagen muss, das Haus, also in diesem Teil des Hauses – in dem ganzen Komplex leben ja an die zweitausend Leute, es gibt sieben Eingänge -, in diesem speziellen Teil des Gebäudes also befand sich zu diesem Zeitpunkt niemand mehr. Die Bewohner waren alle weg, vorher weg, die flohen übers Dach, eine andere Möglichkeit gab es nicht, weil die Türen im Treppenhaus versperrt waren. Das ist eine andere Geschichte, die mit den Ereignissen vor dem Haus ursächlich nichts zu tun hat.
Obwohl wir es mit ungefähr dreitausend Schaulustigen zu tun hatten, gelang es uns, einzelne Zeugen zu ermitteln. Schließlich stellte sich heraus, der Vietnamese hatte sich eingeschlossen und sah in seiner Panik keinen anderen Ausweg, als aus dem Fenster zu springen. Das war ein schreckliches Ereignis. Sie müssen bedenken, dass trotz des Krawalls, trotz der Steine, die geflogen sind, trotz des massiven Einsatzes unserer Polizeikräfte niemand ernsthaft verletzt worden ist. Am Ende sind wir alle mit einem blauen Auge davongekommen. Einer meiner Vorgesetzten wurde entlassen, angeblich hatte er die Einsätze falsch koordiniert, das ist lächerlich. Er war ein Bauernopfer des Ministeriums.
Der Vietnamese war der einzige Tote, ich beschönige seinen Tod nicht, das habe ich nie getan, öffentlich nicht und auch privat nicht. Ich habe nie gesagt, er
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