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Gottes Tochter

Gottes Tochter

Titel: Gottes Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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gefunden habe.«
    »Glauben Sie, sie ist noch hier?«
    »Wo sollte sie sonst sein?«
    »Das stimmt so«, sagte Halberstett zur Bedienung.
    »Danke schön, das ist aber nett von Ihnen! Sie müssen heim zu Ihrer Frau.«
    »Ja.«
    »Noch einen Wunsch, Herr Süden?«
    »Im Moment nicht.«
    »Ich komm dann noch mal vorbei.«
    »Unbedingt.«
    Halberstett stand auf. »Sie können mir die Akten am Montag bringen, keine Eile damit. Ich wollte Sie wirklich nicht maßregeln, ich hoffe, Sie haben das nicht so verstanden.«
    »Nein«, sagte Süden. »Ich habe Sie um Ihre Meinung gebeten.«
    »Da bin ich sehr froh.« Sie gaben sich die Hand. »Meine Frau wartet immer, bis ich komm. Das macht sie, seit ich bei der Polizei bin. Sie kann erst ruhig schlafen, wenn ich da bin. Da kann man nichts machen. Jetzt hab ich Ihnen so viel von mir erzählt, und Sie haben mir gar nichts erzählt.«
    »Ein andermal«, sagte Süden.
    »Auf Wiedersehen, Kollege.«
    Er ging zu der Treppe, die nicht in die Hotelhalle, sondern auf die Straße führte. Süden lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und schloss die Augen.
    Ganz allmählich begriff er, dass die Fremde, in der er sich befand, eine dreifache Fremde war. Er war nicht nur einer aus dem Westen, der im eigenen Land ein noch immer unbekanntes Territorium betrat. Er war nicht nur ein Polizist, der unter besseren, zeitgemäßen Bedingungen arbeitete und schon immer gearbeitet hatte. Er war vor allem ein Mensch, dessen Empfindungen und Schlussfolgerungen einer inneren Freiheit entsprangen, die er nie in Frage gestellt, die er von Kindesbeinen an für selbstverständlich gehalten hatte. Wozu er sich zwingen musste, das wurde ihm in der »Alten Apotheke« bewusst, war, bei jeder Begegnung daran zu denken, dass sein Gegenüber sein Auftreten vielleicht missverstand, in seinen Sätzen Untertöne vermutete, die er nicht beabsichtigte, und in sein Schweigen Überheblichkeit hineinlas, auch wenn es nichts anderes bedeutete als die Abwesenheit von Worten.
    Mehrmals ging die Bedienung an ihm vorüber, und er bemerkte sie nicht.

16
    » H ab ihn seit Tagen nicht gesehen, ich hab gedacht, er sitzt in U-Haft. «
    »Wer hat dir denn das erzählt, Willi?«
    »Du hast ihn doch festgesetzt, oder nicht?«
    »Ich hab ihn nicht festgesetzt«, sagte Henry Halberstett.
    »Er wurde befragt wie alle anderen, die auf dem Schiff waren.«
    »Was willst du von mir? Ich hab hier eine Runde Karten laufen.«
    »Ich wollt dir nur sagen, falls du Juri triffst, sag ihm, er soll nicht gleich ausflippen, wenn ihm der Westkollege ein paar Fragen stellt. Dein Junge soll sich normal verhalten.«
    »Wenn ich richtig verstanden hab, sucht der Westkollege ein Mädchen. Was hat die mit Juri zu tun?«
    »Sie war auch auf dem Schiff«, sagte Halberstett.
    »Ist unwahrscheinlich, dass er vorbeikommt, der kommt in letzter Zeit überhaupt nicht mehr. Er hat sein eigenes Leben, er muss die Werkstatt führen…«
    »Gute Nacht, Willi, entschuldige die Störung.«
    Wilhelm Gottow legte den Telefonhörer auf und nickte seinen Mitspielern am Tisch zu.
    Er blickte eine Weile durchs Fenster in die Dunkelheit, zu den Holzbungalows, die an Gäste vermietet wurden. Am Haus Nummer fünfzehn brannte eine kleine weiße Laterne oberhalb der Eingangstür.
    »Du siehst erschöpft aus.«
    »Ich seh mir noch die Nachrichten an«, sagte Halberstett.
    »Wars so schlimm mit dem Kollegen?«
    »Wie erwartet.« Im Fernsehen ging gerade eine Talkshow zu Ende.
    »Willst du einen Tee?«
    »Nein, Ingrid!«
    Sie zog die Strickjacke aus und legte sie über den Arm. Sie stand bei der Tür.
    Halberstett sah zu ihr hin.
    »Ich wollt nicht unhöflich sein«, sagte er.
    »Was ist mit Juri? Hat er was damit zu tun?«
    »Kann man noch nicht sagen.«
    »Damals konnte man auch nie was sagen. Und er war trotzdem schuld.«
    »Er ist nicht verurteilt worden.«
    »Ja«, sagte Ingrid Halberstett.
    Bei einem Bericht über den Nahen Osten schaltete ihr Mann den Fernseher ab. »Wir sind nicht der einzige Flecken auf der Erde, wo es keine Gerechtigkeit gibt.«
    »Du magst Juri, du hast ihn immer gemocht.«
    »Du etwa nicht?«
    »Ich auch. Und jetzt ist seine Verlobte ums Leben gekommen, und niemand weiß, wie das geschehen konnte.«
    »Sie hatte sich eingeschlossen.«
    »Das weiß ich. Aber warum hat sie sich eingeschlossen? Sie hat sich doch nicht eingeschlossen, weil sie auf die Toilette musste. Oder? Das hast du mir erzählt, sie hatte Streit mit Juri.«
    »Das ist nicht bewiesen. Es

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