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Gottes Tochter

Gottes Tochter

Titel: Gottes Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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sagte Süden. »Die einzige Frage habe ich schon gestellt, und Sie konnten sie mir nicht beantworten, mehr Fragen habe ich nicht.« Er hörte so abrupt zu sprechen auf, dass Marlen sofort etwas sagen wollte. Im letzten Moment machte sie den Mund wieder zu.
    »Das sah jetzt komisch aus«, sagte Süden. Er hatte den Reißverschluss seiner Lederjacke aufgezogen und die Hände hinter dem Rücken übereinander gelegt. Er trug ein sauberes weißes Hemd und eine schwarze Jeans, die ihm zu eng war. Nachdem er bis halb drei Uhr morgens die Akten studiert hatte, war er eingeschlafen und um halb acht aufgestanden. Er hatte geduscht und sich angezogen und vergessen die Haare zu waschen. Er überlegte, ob womöglich eine beginnende Krankheit hinter dieser Art Vergesslichkeit steckte.
    »Sie machen mich nervös mit Ihrem Geschweige«, sagte Marlen.
    »Wo ist Julika?«, fragte er zum zweiten Mal.
    »Leiden Sie unter Amnesie? Ich habe Ihnen gesagt, ich weiß es nicht.« Dann stieß sie einen Seufzer aus. »Ich wollte Sie nicht beleidigen.«
    »Sie haben mich nicht beleidigt«, sagte Süden und ging zum Tisch. Sie hatte ihm Kaffee eingeschenkt, und er hatte abgelehnt. Er hatte eine Tasse im Restaurant des Hotels getrunken und Lust gehabt etwas zu essen. Als er die vollen Teller der Frühstücksgäste sah und beobachtete, wie sie Rühreiberge und Wursttürme verschlangen, flüchtete er. Später trank er in einem Stehcafe eine zweite Tasse Kaffee und aß dazu eine Semmel mit Käse, die ihm nicht schmeckte. Im Taxi knurrte sein Magen, und der Fahrer bot ihm einen Butterkeks an, den Süden dann so gierig verschlang, dass der Fahrer ihm zwei weitere Kekse schenkte.
    »Bitte setzen Sie sich endlich!«, sagte Marlen. Er setzte sich.
    »Frischen Kaffee?« Sie stand auf, leerte seine Tasse, in der der Kaffee kalt geworden war, in den Ausguss und nahm die Kanne aus der Maschine. »Sind Sie schon lange bei der Polizei? Oder stört Sie die Frage?«
    »Nein.«
    Sie stellte ihm die Tasse hin. Er trank den Kaffee schwarz.
    »Ich bin mit neunzehn zur Polizei gegangen und bis heute nicht mehr weggekommen.«
    »Das klingt, als würden Sie es bereuen.«
    Sein Schweigen zwang sie, sich schon wieder zu entschuldigen. Süden sagte: »Mich stören Ihre Fragen nicht. Das ist jetzt beschlossen.«
    Sie hielt die Kaffeetasse vor ihr Gesicht. »Sie sind ganz anders als unser Herr Halberstett. Sie haben ihn ja kennen gelernt, der ist… er ist ein direkter Polizist, man erkennt ihn gleich… nicht wegen der Uniform, er hat… er hat dieses Auftreten, er war ja früher auch Boxer, ich glaub, er war immer ganz schön stolz auf seinen Namensvetter, den anderen Henry. So einer sind Sie nicht.«
    »Ich habe nie geboxt«, sagte Süden.
    »Ich meine das Auftreten, wenn man Sie so sieht… In welcher Abteilung arbeiten Sie genau?«
    »Vermisstenstelle. Ich suche Verschwundene.«
    »Natürlich, deswegen sind Sie ja hier. Gibt es bei uns keine eigene Vermisstenstelle? Kann Herr Halberstett das nicht erledigen, das ist doch sein Gebiet hier, ist er nicht für Verschwundene zuständig?«
    »Doch«, sagte Süden. »Aber ich bin es auch.«
    Sie trank und stellte die Tasse hin und warf ihm einen schnellen Blick zu. Er betrachtete sie. Das störte sie. Alles an ihm störte sie, seine komplette Anwesenheit. Und sie war wütend auf ihre Freundlichkeit, sie konnte einfach nicht abweisend sein. Als besitze sie ein spezielles Gen dafür. Fragte sie jemand nach dem Weg, gab sie Auskunft. Klingelte jemand an der Tür, öffnete sie und ließ sich auf ein Gespräch ein. Nervte sie ihre Kollegin, hörte sie zu und gab Tipps. Kam die Polizei, machte sie Platz. Manchmal dachte sie, sie bewege sich noch immer in den alten Mustern. Früher durfte man sich nichts trauen, also traute man sich nichts. Man respektierte Obrigkeiten und bildete ansonsten eine verschworene Gemeinschaft im Alltag, jeder half jedem, so gut er konnte. Ob man den anderen mochte oder nicht, man musste zusammenhalten, um über die Runden zu kommen. Und wenn jemand an der Tür klopfte, dann konnte man nicht dahinter stehen und Mäuschen spielen, dann wurde geöffnet, und man hatte sich zu freuen. Und das war auch richtig. Der andere war ebenso wichtig wie man selbst, das Wir war entscheidend, nicht das Ich. Heute machte man nicht mehr einfach die Tür auf, wenn es klingelte. Man bat nicht fremde Leute in die Wohnung, auch wenn sie sich als Polizisten aus dem Westen auswiesen. Man hatte das Recht Fragen zu stellen und Nein

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