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Gottes Tochter

Gottes Tochter

Titel: Gottes Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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zu sagen. Ein Polizist brauchte eine Genehmigung für das Betreten einer Privatwohnung, auch wenn Halberstett und seine Kollegen sich damals, nach den Ereignissen am Sonnenblumenhaus, nicht darum gekümmert hatten. Das war etwas anderes gewesen.
    »Haben Sie eine Erlaubnis in meine Wohnung einzudringen?«, fragte sie, und ihre Stimme erinnerte sie an die ihres Sohnes und an die Art, wie er neuerdings öfter mit ihr sprach.
    »Nein«, sagte Süden und stand abrupt auf. Verblüfft fragte sie: »Wo wollen Sie hin?«
    »Ich gehe, wenn Sie das möchten.«
    »Das ist doch…« Was veranstaltete dieser Mann? Natürlich hatte er keine Genehmigung, andernfalls hätte er sie ihr gezeigt.
    Sie hatte ihn freiwillig hereingelassen, das war ja gerade das, was sie so aufbrachte! Am liebsten hätte sie ihm ins Gesicht gesagt, er solle auf der Stelle verschwinden. Aber genau das hatte er doch gerade vor. Oder nicht? Jetzt stand er da wie vorher und strömte diesen eigentümlichen Geruch nach Rasierwasser aus.
    Dabei hatte er sich nicht einmal rasiert.
    »Ich wollte Sie nicht überfallen«, sagte er.
    Warum hörte er jedes Mal so abrupt zu sprechen auf?
    »Ich bitte Sie«, sagte sie. Das war nicht im Mindesten das, was sie sagen wollte. Und weil sie kein weiteres Wort herausbrachte und vor lauter Unentschlossenheit schon zitterte, stand sie ebenfalls auf, mit einer eckigen Bewegung. Nun stand sie ihm gegenüber, starrte ihm in die grünen Augen und kam sich wie ein Mädchen vor, das zum ersten Mal Bekanntschaft mit seinen Hormonen machte.
    Süden lächelte. Sie starrte sein Lächeln an. Vermutlich würde sie anfangen zu kichern, wenn er mit den Ohren wackelte. Sie kannte diesen Mann nicht. Sie mochte diesen Mann nicht. Dieser Mann stellte eine einzige Belagerung dar.
    »Entschuldigen Sie mich«, sagte sie und ging aus der Küche. Sie sperrte die Badezimmertür hinter sich ab und lehnte sich dagegen. Sie zwang sich an Rico zu denken und daran, weshalb dieser Polizist zu ihr gekommen war.
    Sie hatte nichts verraten. Oder doch? Sie dachte nach. Nein. Ja, das Mädchen hatte hier übernachtet, Rico und Julika hatten sich im Dezember kennen gelernt, in einer Kneipe. Das war alles. Julika hatte ihr Kommen nicht angekündigt gehabt, sie war unverhofft vor der Tür gestanden, so wie er, der Polizist. Nein, sie hatte nichts verraten.
    Da fiel ihr Blick auf ein weißes Sweatshirt, das über dem Wannenrand hing. Es gehörte Julika. Marlen hatte es mit ihrer Wäsche mitgewaschen, und als Julika Hals über Kopf verschwand, hatte sie es liegen lassen. Marlen faltete es zusammen und schob es zwischen einen Stapel Handtücher. Dann drückte sie die Klospülung und wusch sich die Hände. In der Küche hatte sich Süden wieder an den Tisch gesetzt.
    »Mehr kann ich Ihnen nicht sagen«, sagte Marlen. Einen ähnlichen Satz hatte Süden schon einmal gehört.
    »Vielleicht«, sagte er, »geben Sie mir noch eine Beschreibung des Mädchens, das hilft mir weiter.«
    »Sie wissen doch, wie das Mädchen aussieht.«
    »Ich meine keine äußerliche Beschreibung.«
    Was blieb ihr übrig, als sich ebenfalls zu setzen?
    »Eine verschlossene Person«, sagte sie. »Wir haben nicht viel miteinander geredet.«
    »Auch nicht nach den Ereignissen auf dem Schiff?«
    »Nein.«
    »Ich möchte mit Ihrem Sohn sprechen.«
    »Das hab ich Ihnen auch schon gesagt, ich weiß nicht, wann er wiederkommt. Er ist mit Freunden unterwegs.«
    »Warum hat er keine eigene Wohnung?«
    »Geht Sie das was an?«
    »Nicht das Geringste«, sagte Süden. Er strich sich die Haare aus dem Gesicht und schloss die Augen. Er öffnete sie auch nicht, als er das Geräusch an der Wohnungstür hörte. Er spürte Marlens Unruhe. Dann drang eine laute Stimme durch den Flur.
    »Ich brauch eine Decke, Mutti, hab ich vergessen, ich bin gleich wieder weg.«
    Außer Atem tauchte Rico in der Tür auf.
    »Grüß Gott«, sagte Süden.

18
    I n der ausgebleichten Jeansjacke mit dem grauweißen Pelzkragen und der grauen Stoffhose, die ihm um die Beine schlotterte, mit den abstehenden Haaren, dem blassen Gesicht und dem großen, halb geöffneten Mund, machte er auf Tabor Süden einen ebenso komischen wie traurigen Eindruck.
    »Auf Sie habe ich gewartet«, sagte Süden.
    Rico rang nach Luft, weil er den Weg von der S-Bahn-Station bis zum Haus im Dauerlauf zurückgelegt hatte, und er rang nach Luft, weil er den Mund nicht zubrachte.
    »Hallo«, sagte Marlen, nachdem sie ihrem Sohn fast eine halbe Minute lang dabei

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