Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
hörte nicht, daß Angel sich ihr genähert hatte. Vielleicht war Angel ja besonders anfällig für die Anziehungskraft von Madonnen-Szenen – schließlich hatte ihn eher sein Vater als seine Mutter aufgezogen. Rose Rose war nur wenige Jahre älter als Angel – sie war nicht so jung, daß ihre Mutterschaft überraschend gewesen wäre. Wenn sie mit ihrem Baby zusammen war, wirkten ihre Gebärden und ihr Gesichtsausdruck fraulich, und sie hatte eine volle, frauliche Figur. Sie war etwas größer als Angel. Sie hatte ein rundes, jungenhaftes Gesicht.
    »Guten Morgen«, sagte Angel, was Baby-Rose in dem Zuber erschreckte. Rose Rose wickelte ihre Tochter in ein Handtuch und richtete sich auf.
    »Du bist wohl Angel«, sagte sie schüchtern. Sie hatte eine feine Narbe an ihrem einen Nasenflügel, die sich bis zur Oberlippe hinunterzog; die Verletzung hatte eine Kerbe in ihrem Zahnfleisch hinterlassen, die Angel sehen konnte, wenn sie ihre Lippen verzog. Später sah er, daß das Messer über dem Eckzahn angehalten und ihn ausgebrochen hatte, was ihr nur halbherziges Lächeln erklärte. Sie sollte ihm erzählen, daß die Verletzung die Zahnwurzel abgetötet habe und daß der Zahn danach ausgefallen sei. Er war so verknallt, als er sie zum erstenmal sah, daß er sogar die Narbe schön fand; sie war ihr einzig sichtbarer Makel.
    »Ich wollte fragen, ob ich dir irgendwie behilflich sein kann und etwas für das Baby besorgen«, fragte Angel.
    »Sie zahnt offenbar«, verriet Rose Rose über ihre Tochter. »Sie ist heute irgendwie sonderbar.«
    Mr. Rose kam aus dem Ciderhaus; als er Angel sah, winkte er und lächelte, und dann kam er herüber und legte dem Jungen seinen Arm um die Schultern. »Wie geht’s?« fragte er. »Du wächst immer noch, glaube ich. Ich hab ihn früher einmal auf den Schultern getragen«, erzählte er Rose Rose. »Er grabschte die Äpfel, die ich nicht erreichen konnte«, erklärte Mr. Rose und puffte Angel herzlich gegen den Arm.
    »Ich werde bestimmt noch etwas weiterwachsen«, sagte Angel – wegen Rose Rose natürlich. Er wollte nicht, daß sie glaubte, er hätte aufgehört zu wachsen; er wollte, daß sie wußte, er würde eines Tages größer sein als sie.
    Er bedauerte, kein Hemd angezogen zu haben; nicht, daß er nicht muskulös gewesen wäre, doch irgendwie wirkte es erwachsener, ein Hemd zu tragen. Dann erwog er, daß ihr vielleicht seine Sonnenbräune gefiel, und also beruhigte er sich wieder; er schob die Hände in die Hüfttaschen seiner Jeans und hätte am liebsten seine Baseballkappe auf dem Kopf gehabt. Es war eine Boston-Red-Sox-Kappe, und morgens mußte er sie sich immer als erster schnappen, wenn er sie tragen wollte – sonst setzte Candy sie wieder auf. Schon im vorletzten Sommer hatten sie vorgehabt, eine zweite Baseballkappe zu kaufen; Candy schuldete ihm eine, weil sie gestanden hatte, eines der Schweißlöcher in der Kappe eingerissen zu haben, als sie einen Bleistift hindurchbohrte.
    Candy arbeitete als Prüferin während der Ernte, und sie brauchte ihren Bleistift. Dies sollte die zweite Ernte werden, bei der Angel als Prüfer arbeiten würde, und der zweite Sommer, in dem er einen der Traktoren fahren mußte, die die Äpfel aus den Obstgärten herbeikarrten.
    Als Angel seinem Vater erzählte, daß Rose Roses Baby zahnte, wußte Homer Abhilfe zu schaffen. Er schickte Angel (mit Wally) in die Stadt, um ein paar Schnuller einzukaufen, dann schickte er Angel mit einem Päckchen Schnuller und einer Fünftelgallone Bourbon zurück zum Ciderhaus; Wally trank von Zeit zu Zeit einen Whiskey, und die Flasche war noch dreiviertel voll. Homer zeigte Angel, wie er den Whiskey auf Baby-Roses Zahnfleisch tupfen sollte.
    »Es betäubt das Zahnfleisch«, erklärte Angel Rose Rose. Er tauchte seinen kleinen Finger in den Whiskey, dann schob er ihn in Baby-Roses winzigen Mund. Zuerst fürchtete er, er könnte das kleine Mädchen ersticken, dessen Augen sofort groß und wäßrig wurden von den Bourbondämpfen; dann aber begann Baby-Rose, Angels Finger so heftig zu bearbeiten, daß das Baby, als er seinen Finger herauszog, um mehr Whiskey aufzutragen, greinte und den Finger zurückhaben wollte.
    »Du wirst sie betrunken machen«, warnte Rose Rose.
    »Nein, werde ich nicht«, beteuerte Angel. »Ich betäube nur ihr Zahnfleisch.«
    Rose Rose untersuchte die Schnuller. Es waren Gumminippel, wie ein Sauger auf einem Babyfläschchen, doch ohne Loch, und an einem blauen Plastikring befestigt, der zu groß

Weitere Kostenlose Bücher