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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Baby als erster zum Schreien bringen konnte; nach »wer als erster« ging es darum, »wer am lautesten«, nach »wer am lautesten« kam »wer am längsten«.
    Zuerst brachten sie ihn zum Schreien, indem sie ihn nicht fütterten, aber am lautesten brachten sie ihn zum Schreien, indem sie ihm weh taten; dies bedeutete in der Regel, daß sie ihn kniffen und knufften, aber es gab auch hinreichende Beweise, daß das Kind gebissen worden war. Am längsten brachten sie ihn zum Schreien, indem sie ihm angst machten; sie entdeckten, daß Erschrecken die beste Art war, einem Baby angst zu machen. Sie müssen sehr versiert darin gewesen sein, das längste und lauteste Geschrei zu erzielen, wenn es ihnen gelang, Homer Wells’ Geschrei zur Legende in Three Mile Falls zu machen. In Three Mile Falls war es schon schwer, überhaupt etwas zu hören – ganz zu schweigen, dort zur akustischen Legende zu werden.
    Die Wasserfälle allein machten ein so immerwährendes Getöse, daß Three Mile Falls die perfekte Stadt war für einen Mord; Schreie oder Schüsse verhallten ungehört. Wenn in Three Mile Falls jemand ermordet und die Leiche bei den Wasserfällen in den Fluß geworfen worden wäre, wäre die Leiche ungehindert und unentdeckt bis drei Meilen flußabwärts nach St. Cloud’s gelangt. Um so bemerkenswerter, daß die ganze Stadt Homers Geschrei hörte.
    Es kostete Schwester Angela und Schwester Edna fast ein Jahr, um Homer Wells soweit zu beruhigen, daß er nicht mehr sofort Zeter und Mordio schrie, sobald jemand sein Gesichtsfeld kreuzte oder wann immer er einen menschlichen Laut vernahm – das Rücken eines Stuhls auf dem Boden, ein knarrendes Bett, ein Fenster, das geschlossen, eine Tür, die geöffnet wurde. Jeder Anblick und jedes Geräusch im Zusammenhang mit einem menschlichen Wesen, das sich womöglich in Homers Richtung bewegte, bewirkte ein schrilles Gezeter und ein so tränenreiches Greinen, daß jeder, der die Knabenabteilung betrat, meinen mußte, die Waisen würden wie im Schauermärchen gefoltert, mißhandelt und anderen undenkbaren Qualen ausgesetzt.
    »Aber Homer«, pflegte Dr. Larch besänftigend zu sagen – während der Junge purpurrot anlief und seine Lungen neu füllte. »Homer, du bringst es noch so weit, daß wir wegen Mordes angeklagt werden! Du bringst es so weit, daß man uns das Haus schließen wird!«
    Die arme Schwester Angela und die arme Schwester Edna wurden durch diese Familie in Three Mile Falls wahrscheinlich nachhaltiger geschädigt als Homer Wells, und der gute große St. Larch sollte sich nie ganz von dem Zwischenfall erholen. Er hatte die Familie kennengelernt; er hatte sich mit jedem einzeln unterhalten – und sich schrecklich in ihnen getäuscht; und er hatte sie alle wiedergesehen an dem Tag, als er nach Three Mile Falls ging, um Homer Wells heimzuholen nach St. Cloud’s.
    Woran sich Dr. Larch immer erinnern sollte, das war die Furcht in ihren Mienen, als er in ihr Haus marschiert war und Homer in die Arme geschlossen hatte. Die Furcht in ihren Gesichtern sollte Dr. Larch immer verfolgen, es war der Inbegriff all dessen, was er vorher nie begriffen hatte: welch zwiespältige Gefühle Erwachsene Kindern gegenüber hegten. Da war einerseits der menschliche Leib, der so deutlich dazu bestimmt war, Babys zu bekommen, und da war andererseits der menschliche Geist, der in diesen Dingen so verwirrt war. Manchmal wollte der Geist keine Babys, aber manchmal war der Geist auch so pervers, daß er andere Menschen zwang, Babys zu haben, die sie, wie sie wußten, nicht haben wollten. In wessen Namen geschah dieses Beharren? fragte sich Dr. Larch. In wessen Namen beharrten manche Geister darauf, daß Babys, auch die eindeutig ungewollten, schreiend auf die Welt gebracht werden mußten?
    Und wenn andere Geister glaubten, Babys haben zu wollen, dann aber nicht richtig für sie sorgen konnten (oder wollten) … nun, was dachten sich diese Geister? Wenn Dr. Larch seinem Geist in dieser Sache einmal die Zügel schießenließ, dann sah er immer die Furcht in den Gesichtern der Familie aus Three Mile Falls vor sich und hörte innerlich Homer Wells’ legendäres Geschrei. Die Furcht dieser Familie hatte sich St. Larch so nachhaltig eingeprägt, daß sie ihm gleichsam zur Vision wurde; niemand, so fand er, der solche Furcht gesehen, sollte je eine Frau zwingen, ein unerwünschtes Baby zu bekommen, »niemand!« schrieb Dr. Larch in sein Tagebuch. »Nicht mal jemand von der Ramses-Papierfabrik!«
    Niemand,

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