Gottesgericht
…?«
»Ich bin ein Genie. Und hier ist mein nächster Gedanke: Es gab keinen österreichischen Reiseunternehmer in der Gruppe, deshalb war es das Nächstbeste, eine Deutsche auszusuchen, und die Drohung gegen sie führte dazu, dass Deutschland Druck auf Österreich ausübte. Vermutlich, diese Zeitbüchse zu finden – falls sie überhaupt existiert.«
»Wieder richtig! Dann hast du es also die ganze Zeit gewusst?«
»Nein. Aber ich hatte jetzt eben Zeit genug, darüber nachzudenken, dass ich es mir zusammenreimen konnte.«
Das Schweigen am anderen Ende verriet ihm, dass Karatay das nicht lustig fand.
»Ach komm, Ersin, ich ziehe dich nur auf. Du sagtest, es gab ein paar zusätzliche Forderungen. Welche noch?«
»Es hat mit dem Ahdname Mohammeds zu tun. Weißt du, was das ist?«
Orhun seufzte. »Irgendwas, das der Prophet gewährt hat. Freies Geleit irgendwohin?«
»Tja, knapp daneben … Aber ich habe jetzt keine Zeit, es zu erklären. Ich muss diese Leitung frei machen.«
Das war vor einer Stunde gewesen.
Er wusste immer noch nicht, was er davon halten sollte. Aber seine Skepsis, ob es sich bei der Belisarius Brigade um orthodoxe Fanatiker handelte, wurde bestätigt.
Mittlerweile wurde die Liste irischer und anderer europäischer Journalisten, die etwas von ihm hören wollten, mit jeder Minute länger. Er würde anfangen müssen, mit ihnen zu sprechen, sobald der Botschafter ihn informierte. Und er musste konzentriert sein.
Vielleicht wäre es nicht schlecht, zuerst mit jemandem zu reden, zu dem er einigermaßen freundschaftliche Beziehungen unterhielt, und zu schauen, wie die Reaktion ausfiel. Dann hätte er bereits ein Gefühl dafür, was ihn erwartete, wenn er die türkische Sache den anderen Medien präsentierte.
Jane Wades Leute waren hinter ihm her gewesen, und sogar Jane selbst hatte vorhin eine Nachricht hinterlassen. Auf Befehl von Ankara hatte er weder mit ihnen noch mit sonst jemandem reden dürfen. Aber wenn die Beitrittszeremonie stattfand, würde er in den nächsten Tagen zu ihrer Sendung beitragen. Es war nur fair, wenn er sich jetzt meldete. Und wenn er mit Jane selbst sprach, konnte er sie vielleicht überreden, als sein Sprachrohr zu agieren.
Sein Blick verweilte kurz auf der ruhigen Straße unter ihm. Ein Wagen fuhr an den Randstein unter dem Kirschbaum, obwohl entsprechende Markierungen das Parken dort eindeutig verboten. Der Fahrer hatte jedoch die Warnblinkanlage eingeschaltet – er beabsichtigte nicht zu bleiben. Orhun kam ein Gedanke. Das Botschaftsgebäude wurde durch eine Mauer von der Straße getrennt, die nicht höher als drei Meter war. Wenn ihn seine Erinnerung nicht trog, war die Hagia Sophia von einer ähnlichen Mauer umgeben. Die Brigade hätte ohne Weiteres für kurze Zeit einen Lieferwagen in einer der ruhigen Seitenstraßen parken und mit ein paar ausziehbaren Leitern über die Mauer auf das Gelände klettern können. Danach hätten sie keine Probleme gehabt, durch eine der vielen alten Holztüren direkt ins Gebäude zu gelangen.
Aber sie hatten es nicht getan. Und Orhun ahnte nun, dass die Methode, die sie gewählt hatten, in Wirklichkeit ihren Abgang ermöglichen sollte. Die Belisarius Brigade hatte die Operation, so wie sie gelaufen war, von Anfang bis Ende durchgeplant.
Orhun entfernte sich von dem Fenster und ging an den Schreibtisch zurück. Er griff zum Telefon und bat seine Sekretärin im Vorzimmer, ihn mit Jane Wade zu verbinden.
20
Jane nahm den Anruf von Orhun genau in dem Moment entgegen, in dem die Kinder ins Wohnzimmer gestürmt kamen und von dem Film erzählen wollten, den sie gesehen hatten.
»Einen Moment, Kinder«, sagte sie und hielt sie mit der ausgestreckten Hand in Schach. »Nur eine Sekunde.«
Scott und Bethann schauten erst enttäuscht drein und hüpften dann zu ihren Spielsachen davon.
»Hallo, Demir. Tut mir leid, die Kinder sind gerade nach Hause gekommen. Wo stecken Sie die ganze Zeit? Wir haben versucht, Sie zu erreichen, seit diese Geschichte in Istanbul losging.«
»Ich weiß. Wir hatten strikten Befehl, nicht mit den Medien zu sprechen.« Seine Stimme war tief, und sein Englisch hatte nur einen leichten Akzent.
»Ich dachte, ich würde vielleicht von Ihnen … persönlich hören?«
»Sie können sich nicht vorstellen … Hier hat das totale Chaos geherrscht. Abgesehen davon hätten Sie das Persönliche schnell mit dem Beruflichen vermischt. Das lässt sich nicht ändern, Jane, Sie sind nun mal Journalistin.«
»Selbst
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