Gottesopfer (epub)
ihren Beinen in das Feuer â¦Â es â¦Â es ist mein Kind. Es brennt. Sie brennt.«
Einen Augenblick war es still. Selbst Doktor Ritter wirkte etwas erschüttert, fing sich aber wieder und machte sich rasch Notizen. Lina saà hinter dem Schreibtisch und lauschte gebannt.Unglaublich, was der spröde Herr Lange in seinem früheren Leben erlitten hatte.
»Sie sagen, sie ist eine Hexe. Sie hat mich verhext. Und Hexen müssen verbrannt werden«, sagte Herr Lange tonlos.
»Gehen Sie an das Ende dieses Lebens.«
Herr Lange sprach jetzt wie ein alter Greis. Seine Stimme war brüchig und leise. »Ich liege auf dem Bett. Ich habe Schmerzen. Aber sie ruft keinen Arzt. Sie hasst mich, hat mir nie verziehen.«
»Wie alt sind Sie?«
»Sehr alt. Mir ist kalt, schrecklich kalt.« Herr Lange bebte, als zittere er vor Kälte.
»Haben Sie jemanden erkannt, der Sie auch in diesem Leben begleitet?«
»Meine Frau â¦Â sie ist meine Mutter. Und dann erkenne ich noch â¦Â«
In diesem Moment hörte Lina, wie sich drauÃen die Eingangstür öffnete: Die nächste Patientin war schon da. Lina erhob sich schnell. Sie eilte aus dem Raum und schloss sachte die Tür hinter sich. DrauÃen stand bereits Frau Hüsche und hängte gerade ihren Mantel an die Garderobe. Lina erinnerte sich, dass sie jahrelang unter Rückenschmerzen gelitten hatte. Kein Arzt hatte ihr helfen können. Heute kam sie zu ihrer dritten Sitzung, und die Schmerzen waren fast weg.
Frau Hüsche holte eine Tafel Schokolade aus ihrer Tasche und gab sie Lina.
»Frau Hüsche, das ist doch nicht nötig.«
Frau Hüsche winkte ab. »Ich werde sowieso zu dick, Kind.«
»Doktor Ritter ist gleich fertig. Wir haben heute etwas später angefangen. Tut mir leid.«
»Das macht doch nichts.«
Plötzlich öffnete sich die Tür zum Sprechzimmer, und Herr Lange kam heraus. Er sah Lina ernst an, ohne sie wie sonst freundlich anzulächeln. Sicher ist er wütend auf mich, weil er jetzt doch hypnotisiert wurde, dachte Lina. Sie fühlte sich wie eine Verräterin. Herr Lange schlüpfte langsam erst in den einen und dann in den anderen Ãrmel seines Mantels und lieà Lina dabei nicht aus den Augen.
»Herr Lange, soll ich â¦Â wollen Sie einen weiteren Termin oder â¦Â«, begann Lina unsicher.
»Ich rufe an.«
»Okay, kein Problem«, sagte Lina betont fröhlich und öffnete ihm die Tür. »Auf Wiedersehen, Herr Lange.«
Herr Lange blieb noch einen Augenblick im Türrahmen stehen, sah Lina an und ging dann zum Fahrstuhl. Lina schloss schnell die Tür und wollte dann ins Therapiezimmer gehen. Doch als sie sich umdrehte, stand plötzlich Doktor Ritter vor ihr und sah sie stumm an. Lina wäre vor Schreck fast das Herz stehen geblieben. Nach ein paar Sekunden hatte sie sich wieder beruhigt, schlüpfte an ihm vorbei und sagte vorwurfsvoll: »Ich dachte, Herr Lange wollte nicht hypnotisiert werden. Ich meine, wenn der Patient das nicht will, dann â¦Â«
»Ja, Sie haben recht«, unterbrach Doktor Ritter sie. »Ich hätte es vielleicht nicht tun sollen. Aber ich habe keine andere Möglichkeit gesehen, ihm zu helfen.« Dann drehte er sich um und ging in sein Therapiezimmer.
43
Als Lina am Abend aus dem Restaurant ihrer Mutter kam, stand plötzlich Sam vor ihr. Er hatte drei schreckliche Tage hinter sich. Am Dienstagnachmittag hatte er sich in seinem Hotelzimmer mit einer Flasche Whiskey, den er sich zuvor in einem Supermarkt gekauft hatte, systematisch betrunken. Am nächsten Morgen war er mit einem dicken Kopf aufgewacht und hatte bei Peter Brenner angerufen, um sich für drei Tage beurlauben zu lassen. Dann war er einige Stunden durch die Stadt geirrt. Abends war er in einer Bar gelandet und dort versackt. Irgendwann in der Nacht hatte man ihm ein Taxi gerufen und ihn ins Hotel gebracht. Den nächsten Tag hatte er mit dröhnendem Schädel inseinem Zimmer verbracht. Und heute war die Beerdigung seiner Schwester gewesen. Doktor Willfurth hatte alles arrangiert, und Sam hatte sich nicht dagegen gewehrt. Auch nicht dagegen, dass Pater Dominik salbungsvolle Worte am Grab seiner Schwester gesprochen hatte. Heute Abend wollte er sich nicht wieder betrinken.
Er hatte den Mantelkragen hochgeschlagen, um sich vor dem kalten Ostwind zu schützen. Das Licht, das aus dem Inneren des
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