Gottesopfer (epub)
Es gab eine Anklage wegen Aufsichtsverletzung. Wurde aber eingestellt.«
»Was ist mit dem Vater?«
»Er war Versicherungsvertreter. Hat nach dem Tod der Frau nie wieder geheiratet und irgendwann angefangen zu saufen. Kann man dem armen Kerl auch nicht verdenken. Vor etwa drei Jahren starb er an Leberzirrhose.«
»Super. Das ist so gut wie nichts. Wir haben niemanden, den wir über unseren heiligen Dominik ausfragen können. Vielleicht sollten wir ihn doch verhaften. Er ist unser einziger Tatverdächtiger. Und er ist Exorzist. AuÃerdem passt er ins Profil. Mitte dreiÃig, kräftig, lebt keusch und unauffällig in seinem Gemeindehaus. Keiner würde vermuten, dass er zu so etwas fähig ist«, sagte Sam und betrachtete abermals das Foto aus Rom. Plötzlich fühlte er sich kraftlos. Sein Kopf schien eine Tonne zu wiegen, und er massierte sich den Nacken, um die Verspannungen loszuwerden.
»Ja, vielleicht. Unser Ãberwachungsteam vor der Kirche hat übrigens nur die Leute rein- und rausgehen sehen, die wir schonauf der Liste haben, wobei die Señorita Lopez durch den Haupt-, der Rest durch den Hintereingang gegangen ist«, beendete Juri seinen Bericht. »Ich habe für heute Vormittag alle zum Interview hierherbestellt.«
Er sah auf die Uhr. »Der Erste müsste gleich da sein.«
Eine gute halbe Stunde später erschienen die drei Jugendlichen. Sie saÃen nebeneinander wie die Hühner auf der Stange und gaben nur knappe Antworten. Ebenso uninteressant waren die Aussagen von Christina Stefter, der Sekretärin des Paters, und von zwei Frauen, die schon mehrfach an den Sitzungen des Pfarrers teilgenommen hatten. Sie bestätigten lediglich das, was Pater Dominik bereits gesagt hatte.
Als Lina hereinkam, bemerkte Sam trotz seiner Trauer, wie hübsch sie heute aussah. Sie trug eine enge Jeans, Turnschuhe und einen roten Rollkragenpullover, der ihre olivfarbene Haut und ihre glänzenden schwarzen Haare, die sie zu einem Zopf zusammengebunden hatte, besonders gut zur Geltung brachte. Er überlieà Juri die Befragung und beobachtete Lina über seine ineinander verhakten Finger hinweg.
»Sam, hast du noch eine Frage?«
»Ja.« Eigentlich hatte Sam gar nicht zugehört, und er hatte auch keine Frage mehr. Er wollte Lina nur noch etwas länger ansehen und ihren Duft in sich aufnehmen, ihn irgendwo in seinem Gehirn abspeichern. Seit sie den Raum betreten hatte, war die Luft in dem sonst muffigen Büro erfüllt von ihrem Honiggeruch, den er bereits in der Kirche, während des Speed-Datings und danach im Wagen wahrgenommen hatte. Ihr Duft tröstete ihn ein bisschen.
Juri und Lina sahen ihn erwartungsvoll an. Was hatte Pater Dominik gesagt? Sie war ein Medium? Ob sie wohl seine Gedanken lesen konnte?
»Ach, jetzt habe ich die Frage vergessen. War wohl nicht so wichtig«, sagte er lahm.
»Na, dann kann ich jetzt gehen, oder?« Lina sah Sam mit ihren schönen Augen an und wartete auf eine Antwort.
»Ja, Sie können gehen.«
Lina erhob sich langsam, zog sich ihren Mantel an und reichte Sam ihre Hand. Seine Hand war kalt, eiskalt, und sie verspürte den Drang, sie zu wärmen, sie nicht mehr loszulassen. Heute wirkte Sam noch unnahbarer als sonst. Er hatte sie kaum beachtet und das ganze Verhör seinem Kollegen überlassen. Sie lächelte ihn zum Abschied an und hoffte, er würde wenigstens darauf reagieren. Doch sein Gesicht blieb starr. Sie wandte sich enttäuscht ab und verlieà den Raum.
Sam sah ihr nach und fragte dann: »Warâs das jetzt? Oder steht noch jemand auf der Liste?«
»Ja, einer noch, ein Pfarrer.«
»Ein Pfarrer?«, fragte Sam überrascht. War er gestern so erschrocken über Linas Namen auf der Liste von Pater Dominik, dass ihm nicht aufgefallen war, dass auch ein Geistlicher an der Sitzung teilgenommen hatte? Er schüttelte missbilligend den Kopf. Er wurde langsam nachlässig.
Wenig später saà Roland Wohlhagen kerzengerade, die Beine übereinandergeschlagen und die Hände im Schoà gefaltet, vor den beiden Polizisten. Groà und schlacksig. Würde ein Zeuge so eine Figur als normal groà bezeichnen, wie es die Verkäuferin in Salzburg vor Birgit Eschbergers Haus getan hatte? Eher nicht, dachte er. »Wo waren Sie vorgestern Abend, Herr Pfarrer?«, begann er das Verhör.
»Ich war bei Pater Dominik.«
»Und danach?«
»Bin
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