Gottesopfer (epub)
mit ihren achtundzwanzig Jahren einige längere Beziehungen geführt. Die längste hatte drei Jahre gehalten, aber seit einem Jahr war sie solo und eigentlich nur dabei, Typen abzuwimmeln. Sogar von Doktor Herrmanns Annäherungsversuchen war sie nicht verschont geblieben. Nachdem sie ihm gegenüber konsequent freundlich, aber auch nicht mehr geblieben war, hatte er irgendwann kapiert, dass er bei ihr nicht landen konnte, trotz seines Hauses auf Ibiza, seiner Eigentumswohnung in der Hamburger Innenstadt und des Hauses auÃerhalb der Stadt, mit denen er gerne prahlte. Wenn es bei ihr nicht »klick« machte, konnte ein Mann ihr die ganze Welt zu FüÃen legen, es interessierte sie nicht. Lina war über einen Meter siebzig groÃ, schlank und eine exotische Schönheit mit olivfarbener Haut, bernsteinbraunen mandelförmigen Augen und schwarzem Haar, das ihr knapp über die Hüfte reichte. Ihre südländische Herkunft konnte sie wahrlich nicht abstreiten.
Endlich, nach diversen unterirdischen Stationen, fand die Bahn ihren Weg ins Freie, wie bei einer Geburt, aus der Dunkelheit ins Licht. Nach vier Jahren kannte Lina jedes Haus, jeden Baum, jeden Strauch, jede StraÃe an der Strecke, sogar der Anblick mancher Wohnungen war stets derselbe. Sie fragte sich, ob sie in zwanzig Jahren immer noch dieses Leben führen, immer noch täglich mit dieser U-Bahn fahren würde. Kein besonders reizvoller Gedanke.
»Nächste Station HudtwalckerstraÃe«, ertönte es monoton über ihr aus einem Lautsprecher. Sie griff nach ihrer Tasche und stand auf. Der junge Mann grinste sie jetzt an, doch Lina hielt sich an einer Stange fest und sah demonstrativ in die andere Richtung. Endlich hielt die Bahn, und die Türen sprangen mit einem Zischen auf. Insgesamt drei Leute stiegen mit ihr aus.Plötzlich hörte sie Schritte hinter sich, die immer schneller wurden. Dann hielt jemand sie an der Jacke fest. Lina drehte sich um. Der junge Mann stand immer noch grinsend vor ihr, und bevor sie ihn zusammenstauchen konnte, hielt er ihr ihre Handschuhe entgegen, die sie in der U-Bahn vergessen hatte. Sie bedankte sich, und der junge Mann rannte zurück zur Bahn.
Du hast Paranoia, sagte sie sich und trat den letzten Teil ihres Heimwegs an. Vor zwei Wochen, als sie noch bei ihrer Mutter gewohnt hatte, war sie an der Kreuzung nach links gegangen. Jetzt ging sie stolz geradeaus weiter, ihrer neuen kleinen Wohnung entgegen. Immerhin eine Ãnderung in meinem Leben, dachte sie und freute sich, dass sie auf diesem Weg noch nicht jeden Fleck auf dem Bürgersteig kannte.
Nach einem zwanzigminütigen FuÃmarsch stand sie endlich in ihrer kleinen Einbauküche und goss sich zur Entspannung einen Tee auf. Sie konnte nicht genug davon bekommen, sich in ihrer kleinen Wohnung umzusehen. Sie bestand aus einem relativ groÃen Zimmer mit einer Kochecke, einem Bad und einem winzigen Flur, in dem man sich gerade mal um sich selbst drehen konnte. Mit den eigenen vier Wänden hatte sie sich auch ihren Traum von einem Himmelbett erfüllt. Sie mochte es, im Schlaf über, neben, hinter und vor sich von Stoff umgeben zu sein. Es gab ihr ein Gefühl von Geborgenheit.
An den Wänden hingen Bilder von Engeln, auf dem Nachttisch stand ein blauer Glasengel, der eine Kerze hielt. Auf einer Kommode waren diverse Engel aus weiÃem Porzellan aufgereiht, und im Bad bestand fast die ganze Ausstattung aus Engelsmotiven. Die Badematte hatte die Form eines Engels mit einer Harfe, auf den Duschvorhang waren pausbäckige Engelchen auf Wolken gedruckt, und auf dem Zahnputzbecher waren zwei sich liebende Engel zu sehen. Lina mochte Engel, das war unverkennbar.
10
SALZBURG
Auf Anweisung von oberster Stelle wurde Sam OâConnor trotz seines Schwurs, in der nächsten Zeit kein fliegendes Objekt mehr zu betreten, noch am späten Nachmittag von Europol mit einem Privatflugzeug von Hamburg nach Salzburg geflogen. Direkt vom Flughafen aus fuhr er mit einem Beamten der Mordkommission Salzburg in die Wohnung von Frau Dileilah in der Salzburger Altstadt. Am Tatort wimmelte es nur so von Beamten, und Sam bedauerte es, dass er nicht als Erster hier gewesen war. Ein jungfräulicher Tatort offenbarte den letzten Blick des Täters auf sein Verbrechen. Nun aber waren sämtliche Spuren, die nicht offensichtlich waren, unbrauchbar.
»Sie liegt im Badezimmer.« Ein aschblonder bleicher Beamter, der sich Sam
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