Gottesopfer (epub)
Mutter darüber gesprochen, und die hatte ihr geraten, sich an den Pater zu wenden. Immerhin kannte er sie schon seit fünf Jahren, praktisch seitdem er die Gemeinde übernommen hatte.
Endlich war die Messe zu Ende. Lina wartete, bis die Gläubigen die Kirche verlassen hatten, und ging dann in Richtung Altar.
»Lina, was kann ich für Sie tun?«, fragte Pater Dominik sanft und sah sie besorgt an. »Ist etwas passiert?«
Lina sah in seine eigenartigen Augen, die sie so vertrauensvoll anblickten. Sieht er alle Menschen so an oder nur mich, fragte sie sich und antwortete: »Nein. Und Ja. Kann ich unter vier Augen mit Ihnen sprechen?«
»Natürlich, Lina. Lassen Sie mich nur noch schnell die Kirche abschlieÃen.«
Was er wohl von mir denkt, fragte sie sich und setzte sich auf eine Bank in der ersten Reihe. Als er abgesperrt hatte, nahm Pater Dominik neben ihr Platz.
»Also, wie soll ich anfangen?«
»Am besten am Anfang.« Er lächelte, Lina lächelte zurück und sah auf ihre pinkfarbenen Turnschuhe.
»Als ich ungefähr acht Jahre alt war, haben meine Eltern nachts ab und zu ein helles Licht in meinem Zimmer gesehen. Esschien unter der Tür hindurch. Sie dachten, ich würde spielen, aber als sie in mein Zimmer kamen, schlief ich und streichelte mir selbst über die Wange.«
Lina hob den Blick, sah Pater Dominik in die Augen und suchte nach Zweifel, Empörung oder Unverständnis darin, doch sie fand nichts dergleichen. Stattdessen ermunterte er sie mit einem Lächeln weiterzusprechen.
»Nachts spürte ich, wie jemand über mein Bett lief und sich über mich beugte. Manchmal war sogar ein Abdruck neben mir auf der Matratze, als würde dort jemand sitzen. Es kam sogar vor, dass mir von unsichtbaren Händen die Kehle zugedrückt wurde. Wenn ich um Hilfe schrie, versuchte mein Vater, zu mir ins Zimmer zu kommen, aber sie lieÃen ihn nicht rein. Es war, als ob ihn eine unsichtbare Wand davon abhielte.«
Sie dachte mit Schrecken an diese Nächte zurück und schüttelte sich, als könnte sie auch die Erinnerungen damit abschütteln.
Der Pfarrer hatte seine Hände im Schoà gefaltet und hörte Lina ruhig zu.
»Eines Nachts träumte ich von meiner GroÃmutter. Sie warnte mich und sagte, ich solle nicht mehr in meinem Bett schlafen.« Lina erinnerte sich genau, wie ihre GroÃmutter sie im Traum auf den Schoà gezogen, ihren kleinen Kopf in beide Hände genommen und eindringlich auf sie eingeredet hatte. Als sie morgens aufgewacht war, hatte sie den Geruch von Veilchen in der Nase gehabt, den Geruch ihrer GroÃmutter, als wäre sie tatsächlich bei ihr im Zimmer gewesen.
»Na ja, ich habe trotzdem weiter in dem Bett geschlafen. Es war ja nur ein Traum, dachte ich zumindest. Aber von da an bekam ich jeden Abend heftige Fieberschübe, und meine Mutter holte regelmäÃig den Notarzt. Meine Eltern waren verrückt vor Sorge, weil ich ja eh schon ein schwaches Herz hatte, was dadurch noch mehr strapaziert wurde. Und obendrein waren die Ãrzte noch ratlos.«
Pater Dominik sah sie voller Mitleid an, und Lina drehte sichzu ihm, indem sie ein Bein angewinkelt auf die Bank legte. Dann sah sie ihm fest in die Augen.
»Mein Vater ging jeden Abend in die Kathedrale und betete. Und dann brachten sie mich zu einem Mann. Er reinigte mich. Und sagte so etwas wie: âºGutes bleibe, Schlechtes geheâ¹ . Währenddessen hatte ich das Gefühl, als würde sich etwas meiner Seele entreiÃen. Ich fiel in Ohnmacht und blieb für eine Zeit ohne Bewusstsein. Als ich wieder zu mir kam, ging es mir richtig gut.«
Pater Dominik nahm ihre eiskalte Hand in seine beiden Hände, und Lina spürte, wie ihr warm wurde.
»Er hat mir das hier gegeben.« Sie holte mit der anderen Hand eine Kette unter ihrem Pullover hervor, an der zwei Kreuze hingen, eines im Nacken, das andere ruhte auf ihrer Brust. »Das hintere Kreuz soll mich vor bösen Blicken schützen. Und es wirkt. Zumindest hatte ich lange Ruhe. Doch ich sehe im Traum den Tod von Verwandten oder Freunden. Und nach ein paar Tagen sterben sie dann wirklich.«
Der Pfarrer zog die Stirn kraus, und Lina lachte nervös. »Keine Sorge, von Ihnen habe ich noch nicht geträumt.« Dann fuhr sie fort: »Jedenfalls habe ich seit ungefähr zwei Jahren das Gefühl, dass da wieder etwas ist.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte
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