Gottesstreiter
Einzelheiten, da hast du die Revanche. Drittens und am wichtigsten: Ich habe jetzt keine Zeit. Ich reise nach |244| Kolín, zu Prokop. Wegen deiner Eskapade wende dich an Hašek Sykora. Er gibt dir Leute mit, eine spezielle Abteilung. Und denke
daran, beeile dich. Vor Weihnachten ...«
»Muss ich in Schlesien sein, ich weiß. Obwohl ich das überhaupt nicht will. Das ist ein schlechter Agent, der nicht will.
Der nur aus Zwang handelt.«
Filou schwieg eine Zeit lang.
»Du hast mich geheilt«, sagte er schließlich. »Du hast mich den Klauen des Schmerzes entrissen. Ich werde mich revanchieren.
Mit einer Nachricht, für die du freiwillig nach Schlesien gehen wirst. Ja, sehr gern sogar.«
»Hä?«
»Du bist Vater geworden, Reynevan.«
»Waaas?«
»Du hast einen Sohn. Katharina von Biberstein, die Tochter von Johann von Biberstein, dem Herrn auf Stolz, hat im Juni 1426
ein Kind geboren. Der Junge, der am St.- Veits-Tag geboren wurde, ist auf eben diesen Namen getauft worden. Jetzt ist er,
wie sich leicht ausrechnen lässt, ein Jahr und vier Monate alt. Nach den Berichten meiner Agenten ein hübsches Kind, dem Vater
wie aus dem Gesicht geschnitten. Jetzt sag mir nicht, dass du ihn nicht sehen willst.«
»Schön«, wiederholte Scharley. »Doppelt so schön.«
»An die zehn Briefe habe ich ihr geschrieben«, sagte Reynevan verbittert. »Mehr als zehn. Ich weiß, es ist Krieg, und wir
haben unruhige Zeiten, aber einer dieser Briefe muss sie doch erreicht haben. Warum hat sie mir nicht geantwortet? Warum hat
sie mir kein Zeichen gegeben? Warum musste ich die Nachricht, einen Sohn zu haben, gerade von Neplach erhalten?«
Der Demerit zügelte sein Pferd.
»Die Antwort auf diese Fragen drängt sich, fürchte ich, von selbst auf«, seufzte er. »Ihr ist nicht an dir gelegen. Vielleicht
klingt das grausam, aber es ist doch eigentlich logisch. Vielleicht sogar ...«
|245| »Vielleicht was?«
»Vielleicht ist das gar nicht dein Sohn? Schon gut, schon gut, ganz ruhig, reg dich nicht auf! Ich habe nur laut gedacht.
Denn andererseits ...«
»Was andererseits?«
»Es könnte ja sein, dass ... Ach, nein! Tut nichts zur Sache. Ich sag ’ was, und du machst daraufhin nur Blödsinn.«
»Rede, verdammt noch mal!«
»Du hast vergeblich auf Antwort auf deine Briefe gewartet, weil sich der alte Biberstein die Schande womöglich so zu Herzen
genommen hat, dass er die Tochter mitsamt dem Bankert in den Turm hat sperren lassen ... Ach nein, das ist banal, pfui, wie in einem Bänkelsängerlied. Aucassin und Nicoletta ... Jesses, nun zieh doch nicht so ein Gesicht, Junge, sonst krieg ich es mit der Angst zu tun.«
»Rede du keinen Blödsinn, dann zieh ich auch kein Gesicht. Einverstanden?«
»Voll und ganz.«
Sie machten einen Bogen um Prag und wandten sich nach Norden. Der Regen fiel unaufhörlich, ja geradezu andauernd, denn wenn
es nicht in Strömen regnete, herrschte ein Normalregen, und sobald der aufhörte, setzte Nieselregen ein. Der Reitertrupp blieb
immer wieder im Schlamm stecken und kam nur im Schneckentempo vorwärts – innerhalb von zwei Tagen hatten sie erst die Elbe
erreicht und die Brücke, die Altbunzlau und Brandeis miteinander verband, am Tag darauf zogen sie, nachdem sie die Stadt gemieden
hatten, weiter, auf die Straße nach Nimburg zu.
Samson Honig, der hinter Scharley und Reynevan herritt, schwieg, aber von Zeit zu Zeit seufzte er tief auf. Berengar Tauler
und Amadeus Bata ritten hinter Samson und waren in ein Gespräch vertieft. Dieses Gespräch, es mochte auch am Wetter liegen,
artete ziemlich oft in einen Streit aus, der zum Glück genauso kurz wie heftig war. Ganz am Schluss, durchnässt und finster
dreinblickend, ritten Krethi und Plethi. Leider.
|246| Scharley, Samson, Tauler und Bata waren am Tag vor dem Fest der heiligen Ursula am Weißen Berg angekommen, einen Tag, nachdem
Filou auf Befehl Prokops des Kahlen nach Kolín gereist war. Sie berichteten, dass die rothaarige Marketka in Prag im Haus
an der Ecke St.-Stephans-Gasse und Fischteichgässchen bei Frau Blažena Pospichalova gut untergebracht war. Frau Blažena hatte
das Mädchen aufgenommen, denn sie hatte ein gutes Herz, an dessen Güte Scharley zusätzlich mit rund hundertzwanzig Groschen
und der Aussicht auf weitere finanzielle Zuwendungen appelliert hatte. Marketka, seinen richtigen Namen wollte das Mädchen
auf keinen Fall preisgeben, befand sich also in relativer
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