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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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knien. An dies und jenes denken. Dies und jenes überdenken   ...«
    |624| »Ach, stimmt ja«, sie hob den Kopf und fuhr fort, ohne eine Antwort abzuwarten, »dir fehlt die Zeit dazu. Ihr seid beschäftigt,
     du und Jutta, sehr beschäftigt. Nun, ich verstehe euch und verurteile euch nicht. Ich war nicht immer Nonne. In meiner Jugend,
     ich muss es zu meiner Schande gestehen, habe auch ich Priapos und Astarte ausgiebig gehuldigt. Und manchmal schien mir, ich
     sei in den Armen eines Mannes Gott näher als in der Kirche. Ich war im Irrtum. Das hindert mich aber nicht daran, all jene
     zu verstehen, die noch darauf warten müssen, ihren Irrtum zu erkennen.«
    »Wir haben dir hier Schutz und Pflege gewährt«, meinte sie nach einer Weile. »Dass uns nicht nur die Barmherzigkeit geleitet
     hat, hast du inzwischen wohl begriffen. Für unsere Sympathie für dich waren nicht zuletzt auch die Zuneigung und die Gefühle
     entscheidend, die Jutta de Apolda für dich hegt, die uns sehr lieb und teuer ist. Es gab aber auch andere Gründe. Nun ist
     es wohl an der Zeit, darüber zu reden.«
    »Dein aufmerksames Auge hat gewiss schon entdeckt, dass sich dieses Kloster von anderen etwas unterscheidet. Nicht nur ihr
     Utraquisten strebt die Notwendigkeit einer Reform der Kirche an, nicht nur ihr verlangt danach. Und wenn es euch auch manchmal
     so scheint, als wärt ihr in euren Bestrebungen radikal, dann stimmt das trotzdem nicht. Es gibt welche, die Veränderungen
     anstreben, die noch darüber hinausgehen. Weit darüber hinaus.«
    »Dir sind, wie ich annehme, die Brüder vom Orden des heiligen Franziskus bekannt, die aus einer Quelle großer und geheimer
     Weisheit schöpften, aus derselben, in die sich auch der von einer heiligen Idee und einem ebensolchen Willen beseelte Joachim
     von Fiore vertiefte. Ich rekapituliere: Unsere Welt ist in die Abfolge von drei Zeitaltern und in drei Orden geteilt. Im ersten
     Zeitalter und im Orden des Vaters, die von Adam bis zu Christus andauerten, herrschte das Gesetz einer strengen Gerechtigkeit
     und Macht. Im zweiten, im Zeitalter und Orden des Sohnes, das mit dem Erlöser begann, herrschte das Gesetz der |625| Gnade und der Weisheit. Das dritte Zeitalter brach an, als der Heilige von Assisi sein Werk begann, und es ist das Zeitalter
     des Heiligen Geistes, dessen Ordensgesetz die Liebe und die Barmherzigkeit ist. Und der Heilige wird herrschen bis an der
     Welt Ende.«
    »Die Macht des Heiligen Geistes, sagt der erleuchtete Meister Eckart«, die Äbtissin legte die Hand auf die Schrift, »ergreift
     alles, was am reinsten, empfindsamsten und erhebendsten ist, sie ergreift den Funken der Seele und trägt ihn zu den höchsten
     Höhen in Feuer und Liebe. Ähnlich, wie es mit einem Baum geschieht: Die Kraft der Sonne weckt in seiner Wurzel das, was am
     reinsten und zartesten ist, und trägt es bis in die Zweige, aus denen es als Blüte hervordringt. Auf dieselbe Weise wird auch
     der Funken der Seele emporgetragen ins Licht und zu seinem Ursprung geführt. Dort verschmilzt er zum vollkommenen Einssein
     mit Gott.«
    »Du siehst also, junger Mann, dass die Ankunft des Heiligen Geistes die Vermittlung durch die Kirche und die Priester überflüssig
     macht, denn die Gemeinschaft der Gläubigen ist unmittelbar vom Lichte des Geistes erfasst und vereinigt sich und setzt sich
     durch den Geist in eins mit Gott. Ohne Mittelsmänner. Man braucht keine Mittelsmänner dazu. Besonders keine sündigen und falschen
     Mittelsmänner.«
    »In der Tat«, wagte Reynevan zu erwidern, nachdem er sich geräuspert hatte, »es scheint, wir haben ähnliche Ansichten und
     Ziele. Genau das sagten auch Jan Hus und Hieronymus, und vor ihnen Wyclif   ...«
    »Dasselbe sagt auch Petr Chelčický«, unterbrach sie ihn. »Warum hört ihr dann nicht auf seine Worte? Wenn er lehrt, dass man
     Gewalt nicht mit Gewalt begegnen, auf Gewalt nicht mit Gewalt antworten kann? Dass ein Krieg nie mit einem Sieg endet, sondern
     nur den nächsten Krieg gebiert, dass Krieg nichts bringen kann außer einem weiteren Krieg? Petr Chelčicky ´ kannte und liebte
     Hus, aber mit den Befürwortern von Gewalt und Mord wollte er nichts zu tun haben. Er wollte |626| nichts zu tun haben mit Leuten, die ihr Gesicht Gott zuwenden und dabei auf einem mit Leichen übersäten Schlachtfeld knien.
     Die das Kreuzzeichen machen, dabei aber bis über die Ellenbogen mit Blut besudelt sind.«
    »Ostern 1419 seid ihr auf die Berge gezogen«, fuhr sie

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