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Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)

Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)

Titel: Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Washington Irving
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Gesicht zu erblicken, das meinen Geist sehr beunruhigte; und als ich bei diesem schmerzlichen Anblicke erzitterte, rief ein Geist laut: »Sieh, mein Sohn, den ich geliebt habe, die Brust, die dich säugte, die Hände, die dich warm eingewickelt und dich oft genährt haben. Kannst du es vergessen, Rache zu nehmen an diesem wilden Volke, welches mein Grabdenkmal auf eine schimpfliche Weise verstümmelt, und unsere alten und ehrenwerthen Gebräuche entehrt hat? Sieh nun, des Sachem’s Grab liegt, wie das der gemeinen Leute, von einem unwürdigen Geschlechte verunstaltet. Deine Mutter klagt und fleht deinen Beistand gegen dieses diebische Volk an, welches sich vor Kurzem in unser Land eingedrängt hat. Wenn dieß geduldet wird, werde ich in meiner ewigen Wohnstätte nicht ruhig sein.« Als der Geist dieß gesagt, verschwand er, und ich, ganz in Schweiß gebadet, kaum zu sprechen im Stande, erhielt erst nach und nach wieder Kräfte, sammelte meine entflohenen Lebensgeister, und beschloß, Euern Rath und Beistand zu fordern.«
    Ich habe diese Anecdote etwas ausführlich erzählt, da sie deutlich zeigen kann, wie diese plötzlichen Feindseligkeiten, die man der Laune und Treulosigkeit beigemessen hat, oft aus tiefen, edeln Beweggründen entstehen mochten, welche unsere Nichtbeachtung des Charakters und der Sitten der Indianer uns hindern, gehörig zu berücksichtigen.
    Eine andere Ursache zu heftigem Tadel gegen die Indianer, ist ihre Grausamkeit gegen die Besiegten. Diese hatte theils in der Politik, theils in dem Aberglauben ihren Grund. Die Stämme, ob man sie gleich zuweilen Völker genannt hat, waren nie so furchtbar durch ihre Anzahl, daß der Verlust einiger Krieger ihnen nicht sehr empfindlich gewesen wäre; dieß war besonders der Fall, wenn sie in häufige Kriege verwickelt wurden; und manches Beispiel findet sich in der Geschichte der Indianer, daß ein Stamm, der seinen Nachbarn lange Zeit furchtbar gewesen war, durch die Gefangennehmung und Niedermetzelung seiner vorzüglichsten Streiter aufgelöst und verjagt worden ist. Daher mußte der Sieger große Versuchung fühlen, erbarmungslos zu sein; nicht sowohl, um grausame Rache zu üben, als um seiner künftigen Sicherheit willen. So hatten die Indianer auch die abergläubische Ansicht, bei wilden Völkern so häufig, und auch bei den Alten herrschend, daß die Manen ihrer in der Schlacht gefallenen Freunde durch das Blut der Gefangenen versöhnt würden. Die Gefangenen jedoch, welche nicht so hingeopfert werden, nehmen sie an die Stelle der Erschlagenen in ihre Familien auf, und begegnen ihnen mit dem Zutrauen und der Zuneigung von Verwandten und Freunden; ja, sie werden mit einer so großen Gastfreiheit und Zärtlichkeit behandelt, daß, wenn man ihnen die Wahl läßt, sie oft lieber bei ihren angenommenen Brüdern bleiben, als in ihre Heimath und zu den Freunden ihrer Jugend zurückkehren.
    Die Grausamkeit der Indianer gegen ihre Gefangenen ist, seit den Ansiedelungen der Weißen, gestiegen. Was früher ein Anschmiegen an die Politik und den Aberglauben war, ist zu einer Befriedigung des Rachegefühls gesteigert worden. Sie können es nur tief fühlen, daß die Weißen die Eroberer ihrer alten Besitzungen, die Ursache ihrer Erniedrigung und die allmähligen Zerstörer ihres Stammes sind. Sie gehen, erbittert über die Beleidigungen und Unbilden, welche sie einzeln erlitten haben, in den Kampf, und sind zur Verzweiflung getrieben durch die weitverbreitete Verwüstung und den reißenden Ruin, den die europäische Kriegsführung erzeugt. Die Weißen haben ihnen zu oft das Beispiel der Gewaltthätigkeit gegeben, indem sie ihre Dörfer verbrannt und ihnen ihre geringen Unterhaltsmittel geraubt haben, und doch wundern sie sich, daß Wilde nicht Mäßigung und Großmuth gegen Diejenigen zeigen, die ihnen nichts gelassen haben, als das bloße Dasein und tiefes Elend.
    Wir brandmarken die Indianer auch als feig und verrätherisch, weil sie in den Kämpfen Kriegslist, statt der offenbaren Gewalt geltend machen; aber darin sind sie durch ihre rohen Gesetze der Ehre gerechtfertigt. Man lehrt sie schon früh, daß Kriegslisten rühmlich seien; der tapferste Krieger hält es für keine Schande, schweigend im Hinterhalt zu liegen und jeden Vortheil über seinen Feind zu benutzen; sein Herz hebt sich in der überwiegenden List und dem Scharfsinn, womit es ihm gelungen ist, einen Feind zu überfallen und zu vernichten. In der That, der Mensch ist von Natur mehr zur List als

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