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Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)

Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)

Titel: Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Washington Irving
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geringschätzend denken, vollkommen zufrieden.« So waren die Indianer, als sie noch in dem Stolze und der Kraft ihres Naturzustandes lebten, jenen wilden Pflanzen ähnlich, welche in dem Schatten des Waldes am besten gedeihen, aber unter der Hand der Kunst verschrumpfen, und unter dem Einfluß der Sonne zu Grunde gehen.
    Bei dem Besprechen des Charakters der Wilden, sind die Schriftsteller zu geneigt gewesen, den gemeinen Vorurtheilen und der leidenschaftlichen Uebertreibung, statt der ruhigen Stimme der wahren Philosophie ihr Ohr zu leihen. Sie haben die eigenthümlichen Verhältnisse, in welche die Indianer versetzt waren, und die eigenthümlichen Grundsätze, nach denen sie erzogen werden, nicht genugsam erwogen. Kein Wesen handelt strenger nach Grundsätzen, als der Indianer. Sein ganzes Benehmen ist nach einigen allgemeinen, seinem Gemüthe schon früh eingeprägten Vorschriften geregelt. Der moralischen Gesetze, denen er gehorcht, sind allerdings nur wenige, allein er befolgt sie auch alle; der Weiße hat eine Menge von Gesetzen über Religion, Moral und Sitten, aber wie viele verletzt er!
    Ein häufig gehörter Beschuldigungsgrund gegen die Indianer ist ihre Nichtachtung der Verträge, und die Treulosigkeit und Leichtigkeit, womit sie, in Zeiten anscheinenden Friedens, plötzlich zu Feindseligkeiten schreiten. Der Verkehr zwischen den Weißen und den Indianern wird indessen nur zu leicht kalt, mißtrauisch, drückend und beleidigend. Sie behandeln Letztere selten mit dem Zutrauen und der Offenheit, welche bei wahrer Freundschaft unerläßlich sind; eben so wenig wird die gehörige Behutsamkeit beobachtet gegen jene Gefühle des Stolzes oder des Aberglaubens, welche oft den Indianer schneller zu Feindseligkeiten veranlassen, als die bloßen Rücksichten des Eigennutzes. Der einsame Wilde fühlt schweigend, aber tief. Seine Gefühle sind nicht über eine so weite Oberfläche verbreitet, als die des Weißen; allein sie fließen in steterem, tieferem Geleise. Sein Stolz, seine Leidenschaften, sein Aberglaube, sind alle auf wenigere Gegenstände gerichtet; allein die Wunden, welche ihm geschlagen werden, sind verhältnißmäßig herb, und geben Veranlassungen zu Feindseligkeiten, die wir nicht gehörig beurtheilen können. Wo ein Gemeinwesen auch an Zahl beschränkt ist, und, wie bei einem indianischen Stamme, eine große patriarchalische Familie bildet, da wird die, dem Einzelnen zugefügte Beleidigung, zur Beleidigung für das Ganze, und das Gefühl der Rache verbreitet sich beinahe augenblicklich. Ein Berathungsfeuer ist hinlänglich zur Erörterung und Anordnung eines Plans zu Feindseligkeiten; hier versammeln sich die Krieger und die Weisen. Beredsamkeit und Aberglaube vereinigen sich, die Gemüther der Krieger zu entflammen. Der Redner erweckt ihren kriegerischen Muth, und die Gesichte des Propheten und des Träumers stimmen sie zu einer Art von religiöser Verzweiflung hinauf.
    Ein Beispiel von einer dieser plötzlichen Erregungen, welches von einem, dem Charakter der Indianer eigenthümlichen Beweggrunde ausgegangen, findet sich in einer alten Erzählung von der ersten Zeit der Ansiedelung von Massachusetts. Die Pflanzer von Plymouth hatten die Denkmäler der Todten in Passonagessit verstümmelt, und auf dem Grabe der Mutter des Sachem’s (Häuptlings) einige Felle geraubt, womit es verziert gewesen war. Die Indianer sind wegen der Ehrfurcht, welche sie gegen die Gräber ihrer Verwandten haben, bemerkenswerth. Man kennt Stämme, welche seit Geschlechtern aus den Wohnsitzen ihrer Vorfahren vertrieben sind, und sich, wenn sie zufällig in der Nachbarschaft reisten, von der Straße abgewandt, und, von wunderbar genauer Ueberlieferung geleitet, meilenweit das Land durchzogen haben, um einen vielleicht in Wäldern verborgenen Grabhügel aufzusuchen, wo die Gebeine ihres Stammes ehemals beigesetzt waren; und dort haben sie Stunden lang in stillem Nachdenken zugebracht. Von diesem erhabenen und heiligen Gefühl beseelt, sammelte der Sachem, dessen Mutter in ihrem Grabe gestört worden war, seine Leute, und redete sie in folgender einfach schönen und erhabenen Rede an, einer merkwürdigen Probe indianischer Beredsamkeit, und ein rührendes Beispiel kindlicher Liebe von einem Wilden.
    »Als neulich das glorreiche Licht des weiten Himmels unter diesem Erdball war, und die Vögel stille wurden, fing ich, wie es mein Gebrauch ist, an, mich zur Ruhe zu bereiten. Ehe ich meine Augen fest schloß, glaubte ich ein

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