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Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)

Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)

Titel: Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Washington Irving
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der Charakter anfangs ähnlich gewesen sein mag, so hat er sich nach und nach der Nation angepaßt, oder vielmehr sie haben sich ihm gegenseitig angepaßt; und ein Fremder, der die Eigenthümlichkeiten der Engländer zu studiren wünscht, wird solche schätzenswerthe Belehrungen am besten an den unzähligen Bildern von John Bull sammeln, wie sie an den Fenstern der Carricaturläden ausgehängt sind. Noch immer ist er einer der fruchtbaren Humoristen, der beständig neue Portraits zu Tage fördert, und, von verschiedenen Gesichtspunkten gesehen, auch verschiedene Ansichten gibt, und ich kann, so oft er auch geschildert worden ist, der Versuchung nicht widerstehen, eine leichte Skizze von ihm zu geben, so wie er mir gerade erschienen ist.
    John Bull ist, allem Anscheine nach, ein gerader, schlichter, auf die Sache losgehender Bursche, mit bei weitem mehr gediegener Prosa als Poesie in sich. In seiner Natur liegt wenig Romantisches, aber ein guter Theil kräftigen, natürlichen Gefühls. Er zeichnet sich mehr durch Laune als durch Witz aus, ist eher lustig als fröhlich, eher trübsinnig als mürrisch; er kann leicht zu einer schnell in sein Auge tretenden Thräne bewegt, oder zu einem lauten Lachen plötzlich gereizt werden; aber er haßt alle Sentimentalität und hat keine Anlage für leichten Scherz. Er ist ein guter Gesellschafter, wenn ihr ihn seinen Gang gehen und von sich sprechen laßt; und er wird einem Freunde, wenn es zum Streit kommt, mit Leben und Börse beistehen, sollte auch eine derbe Tracht Schläge mit auf ihn fallen.
    In dieser letztern Rücksicht hat er, aufrichtig gestanden, Anlage etwas zu voreilig zu sein. Er ist ein geschäftig umgreifendes Wesen, das nicht bloß an das, was ihn selbst und seine Familie, sondern auch was die ganze Gegend umher betrifft, denkt und sehr edelmüthig geneigt ist, Jedermanns Verfechter zu werden. Er ist immer unaufgefordert bereit, den Schiedsrichter in den Angelegenheiten seiner Nachbarn zu machen, und nimmt es sehr übel, wenn sie irgend etwas von Bedeutung unternehmen, ohne ihn um Rath zu fragen, obgleich seine Dienstleistungen gewöhnlich damit belohnt werden, daß er am Ende mit allen Parteien in Händel geräth und nun sich bitter über ihre Undankbarkeit beschwert. Unglücklicherweise nahm er in seiner Jugend Unterricht in der edlen Fechtkunst, und da er sich im Gebrauche seiner Glieder und seiner Waffen ausgebildet hat, und ein Muster im Boxen und in der Führung des Knüttels geworden ist, hat er seitdem stets ein beunruhigtes Leben gehabt.
    Sobald er von einem Streite zwischen seinen entferntesten Nachbarn hört, beginnt er, fortwährend mit dem obern Theil seines Knüttels Bewegungen zu machen, und zu überlegen, ob sein Interesse und seine Ehre es nicht fordern, sich in den Streit zu mischen. In der That hat er seine verwandtschaftlichen Beziehungen in Hinsicht auf Stolz und Politik, so über die ganze Gegend auf gedehnt, daß durchaus nichts vorgehen kann, ohne daß es einige seiner feinausgesponnenen Rechte und Würden beeinträchtiget. In seinem eigenen kleinen Besitzthum hockend, gleicht er, mit diesen nach allen Richtungen ausgehenden Fäden, einer cholerischen, dickleibigen alten Spinne, die ihr Gewebe über eine ganze Kammer ausgedehnt hat, so daß keine Fliege summen, kein Lüftchen sich regen kann, ohne sie aus ihrer Ruhe aufzustören und sie zornig aus ihrem Schlupfwinkel herauszufordern.
    Ob er gleich wirklich ein gutartiger, wohlmeinender Mann ist, so liebt er doch ganz sonderlich immer da zu sein, wo es Streit gibt. Es ist indeß eine seiner Eigenthümlichkeiten, daß er nur an dem Anfange eines Handgemenges Vergnügen findet; er geht immer mit Freudigkeit in das Gefecht, kommt aber, selbst wenn er Sieger geblieben ist, mürrisch daraus zurück; und wenn gleich Niemanden mit größerer Beharrlichkeit ficht, um einen streitigen Punkt zu schlichten, so ist er doch, wenn das Gefecht vorüber ist, und es zur Versöhnung kommt, durch das bloße Händeschütteln schon so gewonnen, daß er seinen Gegner gern alle die Vortheile ernten läßt, um welche sie sich gestritten haben. Er muß sich also nicht sowohl vor dem Schlagen, als vor der Versöhnung hüten. Es ist schwer, ihm mit dem Knüttel einen Pfennig abzupressen; aber versetzt ihn nur in gute Laune, und ihr könnt ihm alles Geld ablocken, das er in seiner Tasche hat. Er ist wie ein tüchtiges Schiff, das, nachdem es unbeschädigt dem schrecklichsten Sturme entgangen ist, seine Masten in der

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