Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)
würdevolle Person, und ein wahrhaft wohlerzogener Christ, der immer dem alten Herrn bei seinen Behauptungen Recht gibt, mit seinen kleinen Sünden bescheidene Nachsicht hat, die Kinder schilt, wenn sie wiederspenstig sind, und von großem Nutzen ist, da er die Bauern ermahnt, die Bibel zu lesen, ihre Gebete herzusagen, und, vor allem, ihre Abgaben pünktlich und ohne Murren zu bezahlen.
Die Familienzimmer sind in sehr veraltetem Geschmacke, etwas schwer und oft unbequem, aber voll der feierlichen Pracht alter Zeiten; mit reichen, obgleich verschossenen Tapeten, mit unbehülfichen Möbeln und Massen von altem, schwerem Silber ausgestattet. Die großen Kamine, die ungeheueren Küchen, die weitläuftigen Keller, und ausgedehnten Schmaußsäle, – alles spricht von der geräuschvollen Gastfreiheit ehemaliger Zeiten, wovon das jetzige Leben im Schlosse nur ein Schatten ist. Lange Reihen von Zimmern sind indessen offenbar ganz verlassen, und von der Zeit zerstört, und Thürme und Thürmchen sind so verfallen, daß man bei starkem Winde besorgen muß, sie möchten über der Hausbewohnerschaft zusammenstürzen.
Man hat John häufig gerathen, das alte Gebäude einmal durchgängig ausbessern, einige der unnützen Theile desselben niederreißen, und den übrigen mit den aus diesen erhaltenen Materialien mehr Festigkeit geben zu lassen; aber der alte Herr wird immer unwillig, wenn man mit ihm über diesen Gegenstand spricht. Er schwört, das Haus sei ein ganz vortreffliches Haus – es sei dicht und wetterfest, und Stürme könnten es nicht erschüttern – es habe schon mehrere Jahrhunderte gestanden, und werde deßwegen jetzt wahrscheinlich nicht gleich zusammenstürzen – in Bezug auf das Unbequeme, sei seine Familie an die Unbequemlichkeiten gewöhnt, und fühle ohne diese sich nicht wohl – seine unbehülfiche Form und unregelmäßige Bauart rühre davon her, daß sie das Erzeugniß von Jahrhunderten und durch die Weisheit eines jeden Geschlechts verbessert worden sei – eine alte Familie, wie die seinige, müsse ein großes Haus haben, darin zu wohnen; neue, eben erst aufgekommene Familien möchten immerhin in modernen Meiereien und hübschen Landhäusern wohnen; aber eine alte englische Familie müsse ein alt englisches Herrenhaus bewohnen. Wenn ihr ihn auf irgend einen Theil des Gebäudes, als überflüssig, aufmerksam macht, so behauptet er, daß er zu der Stärke oder der Zierde des Uebrigen und der Harmonie des Ganzen wesentlich gehöre, und schwört, die Theile seien so in einander gebaut, daß ihr, wenn ihr den einen herunterreißet, Gefahr lauft, das Ganze über dem Kopfe zusammenstürzen zu sehen.
Das Geheimniß bei der Sache ist, daß John eine große Vorliebe hat, zu beschützen und sich das Ansehn eines Patrons zu geben. Er hält es für unzertrennlich von der Würde einer alten ehrenwerthen Familie, in dem, was sie gibt, freigebig zu sein, und sich von ihren Anhängern aufzehren zu lassen; und so macht er es sich, theils aus Stolz, theils aus Gutmüthigkeit, zu einer Regel, seinen überalterten Dienern immer Unterhalt und Wohnung zu geben.
Die Folge davon ist, daß, wie manche andere ehrwürdige Familienanstalten, seine Wohnung mit alten Untergebenen, die er nicht wegjagen und mit einem alterthümlichen Style, dessen er sich nicht erledigen kann, belastet ist. Seine Wohnung ist wie ein großes Invalidenhospital, und bei aller ihrer Größe nicht um ein Fleckchen zu groß für die Bewohner. Es gibt keinen Winkel, keine Ecke im Hause, welche nicht irgend einer unnützen Person zum Wohnsitze diente. Haufen von alten Trabanten, podagrischen Pensionären und in Ruhestand versetzten Helden der Küche und des Kellers, schlendern um seine Mauern her, kriechen auf seinen Grasplätzen entlang, schlafen unter seinen Bäumen, oder sonnen sich auf den Bänken an seinen Thüren. Jedes Diensthaus und Wirthschaftsgebäude ist mit diesen Ueberzähligen und ihren Familien besetzt; denn sie sind außerordentlich fruchtbar und hinterlassen John, wenn sie sterben, gewiß ein Vermächtniß von hungrigen Mäulern, welche versorgt sein wollen. Man kann mit keiner Hacke gegen den ältesten, verfallensten Thurm schlagen, ohne daß nicht aus irgend einer Spalte oder Schießscharte der graue Kopf irgend eines ausgedienten Untergebenen heraus guckt, der sein ganzes Leben auf John’s Kosten verbracht hat, und nun den gräßlichsten Lärm aufschlägt, daß man einem alten Diener der Familie das Dach über dem Kopfe wegbreche.
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