Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)
großen Baumes zu erreichen, so daß die Nachbarn nach seinen Bewegungen die Zeit so genau wissen konnten, wie nach einer Sonnenuhr. Es ist wahr, man hörte ihn selten sprechen, sondern er rauchte unaufhörlich. Seine Anhänger (denn jeder große Mann hat seine Anhänger) verstanden ihn indeß vollkommen, und wußten, wie sie sich seiner Meinung zu vergewissern hatten. Wenn etwas, das ihm vorgelesen oder erzählt wurde, ihm mißfiel, so sah man, wie er seine Pfeife heftig rauchte, und kurze, häufige, zornige Dampfwolken daraus fortblies: wenn es ihm aber gefiel, so zog er den Rauch langsam und ruhig ein, und blies ihn in leichten und friedlichen Wolken von sich; zuweilen nahm er wohl auch die Pfeife aus dem Munde, ließ den wohlriechenden Duft sich um seine Nase kräuseln, und nickte gravitätisch mit dem Kopfe, zum Zeichen seiner vollkommenen Billigung.
Selbst aus diesem Bollwerk ward der unglückliche Rip am Ende von seinem zanksüchtigen Weibe vertrieben, die plötzlich in die Ruhe der Versammlung einstürmte und den Mitgliedern derselben förmlich Hohn sprach; selbst die erhabene Person des Nicolas Vedder war vor der kühnen Zunge dieses gewaltigen Mannweibes nicht heilig genug, und sie beschuldigte ihn geradezu, ihren Mann in seinem Hange zur Trägheit zu bestärken.
Der arme Rip war endlich fast zur Verzweiflung gebracht, und die einzige Ausflucht, welche ihm blieb, um der Arbeit auf seinem Hofe und den Scheltworten seines Weibes zu entgehen, war, daß er seine Flinte zur Hand nahm und in den Wald hinausschlenderte. Hier setzte er sich zuweilen am Fuße eines Baumes nieder, und theilte den Inhalt seines Quersacks mit Wolf, mit dem er, als einem Leidensgenossen in der Verfolgung, gleiche Empfindungen hegte. »Armer Wolf,« sagte er dann: »deine Gebieterin läßt dich ein wahres Hundeleben führen; aber laß es gut sein, mein Junge, so lange ich lebe, soll es dir nicht an einem Freunde fehlen, der dir beisteht!« Wolf wedelte dann mit dem Schwanze, sah seinen Herrn gedankenvoll an, und wenn anders Hunde Mitleid fühlen können, so glaube ich wahrhaft, daß er von ganzem Herzen seine Gefühle erwiederte.
Auf einem langen Spaziergange der Art an einem schönen Herbsttage, hatte Rip unbewußt einen der höchsten Theile der Kaatskill-Berge erklettert. Er ging seinem Lieblingsvergnügen, der Eichhornjagd, nach, und die stille Einsamkeit hallte und hallte von dem Krachen seiner Schüsse wider. Keuchend und ermüdet warf er sich spät am Nachmittag auf einen grünen, mit Bergkräutern bedeckten Vorsprung, welcher die Spitze eines Abhanges krönte. Von einer Oeffnung zwischen den Bäumen hindurch konnte er die ganze untere Gegend, mehrere Meilen fruchtbaren Holzlandes, übersehen. Er erblickte in der Entfernung den mächtigen Hudson, weit, weit unter ihm, still, aber majestätisch dahin strömen, und von Zeit zu Zeit eine Purpurwolke oder das Segel einer langsam dahin gleitenden Barke, welche hier und da auf der hellen Fläche zu schlafen schien, sich in ihm spiegeln; zuletzt entschwand sie in den blauen Hochlanden seinen Blicken.
Auf der andern Seite sah er nieder in eine tiefe Bergschlucht, wild, einsam und rauh, die Tiefe mit Bruchstücken der überhangenden Klippen angefüllt, und nur spärlich von dem Widerschein der Strahlen der untergehenden Sonne beleuchtet. Einige Zeit lag Rip, über den Anblick in Nachdenken versunken da; der Abend brach allmählig herein; die Berge begannen ihre langen blauen Schatten über die Thäler zu werfen; er sah, daß es lange dunkel werden würde, ehe er das Dorf erreichen könnte, und ein tiefer Seufzer entschlüpfte ihm, als er daran dachte, den Zorn der Frau van Winkle über sich ausbrechen zu sehen.
Indem er im Begriff war, herabzusteigen, hörte er eine Stimme in der Entfernung, welche ihm zurief: »Rip van Winkle! Rip van Winkle!« Er sah sich um, konnte aber nichts sehen, als eine Krähe, welche ihren einsamen Flug über die Berge hinnahm. Er glaubte, seine Phantasie habe ihn getäuscht, und drehte sich um, um hinab zu steigen, als er denselben Ruf durch die noch abendliche Luft erschallen hörte: »Rip van Winkle! Rip van Winkle!« Zu gleicher Zeit sträubte sich aber Wolf’s Haar; er stieß ein dumpfes Gebrumm aus, schmiegte sich an seines Herrn Seite, und blickte furchtsam in die Schlucht. Rip fühlte sich jetzt von einem bangen Grauen erfaßt; er blickte ängstlich nach derselben Richtung hin, und sah eine seltsame Gestalt langsam die Felsen heraufklimmen, gebückt
Weitere Kostenlose Bücher