Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)
die Schulter und lenkte, mit einem Herzen voll Bangigkeit und Kummer, seine Schritte nach Hause.
Als er sich dem Dorfe näherte, begegnete er vielen Leuten, aber Niemandem, den er kannte, was ihn einigermaßen in Erstaunen setzte, denn er hatte jeden Menschen in der ganzen Gegend zu kennen geglaubt. Auch ihre Kleidung war von einem Schnitte, ganz verschieden von dem, welchen er sonst zu sehen gewohnt gewesen war. Alle starrten ihn mit ähnlichen Zeichen des Erstaunens an, und sobald sie ihre Blicke auf ihn warfen, fühlten sie jedesmal an ihr Kinn. Die beständige Wiederholung dieser Geberde veranlaßte Rip, unwillkührlich dasselbe zu thun, wo er zu seinem Erstaunen fand, daß sein Bart einen Fuß lang gewachsen war.
Er war jetzt in die Umgebung des Dorfes gekommen. Ein Haufe fremder Kinder lief ihm auf den Fersen nach, schrie und wies auf seinen grauen Bart. Auch die Hunde, unter denen er keinen seiner alten Bekannten wieder erkannte, bellten ihn an, als er vorüber ging. Das Dorf selbst war verändert; es war größer und volkreicher. Da standen Reihen von Häusern, welche er nie zuvor gesehen, und diejenigen, welche er gewöhnlich besucht hatte, waren verschwunden. Fremde Namen waren über den Thüren – fremde Gesichter an den Fenstern – Alles war fremd. Jetzt kreiste ihm der Kopf; er begann zu zweifeln, ob er und die Welt um ihn her nicht behext sei. Gewiß war dies doch sein heimathliches Dorf, das er erst den Tag zuvor verlassen hatte. Dort lagen die Kaatskill-Berge – dort floß in einiger Entfernung der silberglänzende Hudson – da war jeder Hügel und jedes Thal gerade noch so, wie früher – Rip wurde ganz verwirrt. »Die Flasche von gestern Abend,« dachte er, »hat mein armes Hirn völlig ausgesaugt.«
Mit einiger Mühe fand er den Weg zu seinem eigenen Hause wieder, dem er sich mit stillschweigender Scheu näherte, da er jeden Augenblick die gellende Stimme der Frau van Winkle zu vernehmen erwartete. Er fand das Haus ganz im Verfall – das Dach eingesunken, die Fenster zerbrochen und die Thüren aus den Angeln. Ein halb verhungerter Hund, welcher wie Wolf aussah, schlich um dasselbe. Rip rief ihn bei Namen, allein der Hund knurrte, zeigte seine Zähne und lief weg. Das war in der That ein unfreundlicher Empfang. »Selbst mein Hund,« seufzte der arme Rip, »hat mich vergessen!«
Er trat in das Haus, das, um die Wahrheit zu sagen, Frau van Winkle immer in schöner Ordnung gehalten hatte. Es war leer, verfallen und augenscheinlich verlassen. Diese Oede überwältigte alle Furcht vor Ehestandsscenen – er rief laut nach seiner Frau und seinen Kindern – die einsamen Zimmer hallten einen Augenblick von seiner Stimme wieder, und dann war Alles wieder stumm.
Er machte sich nun hastig davon und eilte nach seinem alten Zufluchtsorte, der Dorfschenke; – allein auch diese war nicht mehr zu finden. Ein großes, schiefes, hölzernes Gebäude stand an dessen Stelle, mit großen weiten Fenstern, von denen einige zerbrochen und mit alten Hüten und Unterröcken verstopft waren, und über der Thür war die Ueberschrift gemalt: »das Union Hotel, Jonathan Doolittle.« Statt des großen Baumes, welcher die ehemalige ruhige, kleine holländische Schenke zu beschatten pflegte, war jetzt eine große kahle Stange aufgestellt, auf deren Spitze etwas hing, das einer rothen Nachtmütze ähnlich sah, und an derselben herab wehte eine Flagge, auf welcher eine sonderbare Zusammenstellung von Sternen und Streifen zu sehen war. – Alles dieß war seltsam und unbegreiflich. Er erkannte jedoch auf dem Schilde das hochrothe Gesicht von König Georg, unter welchem er so manche friedliche Pfeife geraucht hatte; aber selbst dieß war sonderbar umgestaltet. Der rothe Rock war in einen blauen mit Aufschlägen verwandelt; ein Degen war statt des Scepters in der Hand zu sehen, der Kopf war mit einem dreieckigen Hute geziert und unten stand mit großen Buchstaben geschrieben: General Washington .
Es waren, wie gewöhnlich, eine Menge Menschen vor der Thür versammelt, unter denen jedoch Rip Niemanden erkannte. Selbst der Charakter des Volkes schien verändert. Es war da umher ein geschäftiges, unruhiges, streitsüchtiges Wesen, statt des gewohnten Phlegmas und der schläfrigen Friedseligkeit. Er sah sich vergebens nach dem weisen Nicolaus Vedder um, mit seinem breiten Gesicht, dem Doppelkinn und der schönen langen Pfeife, aus der er Wolken von Tabaksdampf, statt eitler Reden von sich gab, oder nach van Bummel, dem
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