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Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)

Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)

Titel: Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Washington Irving
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liebevollen Wesen, das seine ganze Glückseligkeit in deinen Armen suchte, Gelegenheit gegeben, einen Augenblick an deiner Liebe oder deiner Treue zu zweifeln – bist du ein Freund und hast je in Gedanken, Worten oder Thaten das Gemüth gekränkt, das großmüthig dir vertraute – bist du ein Liebender und hast je dem treuen Herzen, das nun kalt und still zu deinen Füßen liegt, ein unverdientes Weh bereitet; – so sei sicher, daß jeder unfreundliche Blick, jedes unsanfte Wort, jede lieblose Handlung vor dein Gedächtniß treten und peinlich an dein Herz klopfen wird – so sei sicher, daß du dich traurig und reuevoll in das Grab niederlegen und den nicht gehörten Seufzer ausstoßen und die vergebliche Thräne vergießen wirst, desto tiefer, desto bitterer, weil sie ungehört und vergeblich sind.
    Dann winde deinen Kranz von Blumen und streue die Schönheiten der Natur um das Grab her; richte dein gebrochenes Herz, wenn du kannst, durch diese zarten, doch vergeblichen Gaben der Liebe auf; aber laß dich warnen durch die Bitterkeit dieser deiner Zerknirschung bei dem Todten, und sei fortan treuer und liebevoller in der Erfüllung deiner Pflichten gegen die Lebenden.
    Beim Schreiben des vorstehenden Aufsatzes war es nicht die Absicht, eine ganz ins Einzelne gehende Beschreibung der Begräbnißgebräuche der englischen Landleute zu liefern, sondern nur wenige Winke und Stellen zu geben, welche besondere Gebräuche erläutern; es sollte damit nur eine Anmerkung zu einem andern Aufsatze gegeben werden, der nicht erschienen ist. Der Aufsatz wuchs aber allmählig zu seiner jetzigen Gestalt an, und dieß mag als Entschuldigung für eine so kurze und abgebrochene Erwähnung dieser Gebräuche dienen, nachdem sie umfassend und gelehrt in anderen Werken erforscht worden sind.
    Ich muß auch bemerken, wie ich sehr wohl weiß, daß es in anderen Ländern, außer England, auch Sitte ist, die Gräber mit Blumen zu schmücken. In einigen ist sie sogar allgemeiner und wird selbst von den Reichen und den Modeleuten beobachtet; allein sie mag dann wohl ihre Einfachheit verlieren und in etwas Geziertes ausarten. Bright erzählt in seinen Reisen in Nieder-Ungarn von marmornen Denkmalen mit Nischen, um einsam darin zu verweilen, und mit Sitzen in Lauben von Treibhauspflanzen, und daß man die Gräber gewöhnlich mit den schönsten Blumen der Jahreszeit schmücke. Er erzählt beiläufig einen Zug kindlicher Liebe, den ich nicht umhin kann, wieder mitzutheilen; denn es ist eben so lehrreich als erfreulich, durch ihn die liebenswürdigen Tugenden des Geschlechts verherrlicht zu sehen. »Als ich in Berlin war,« sagte er, »geleitete ich den berühmten Iffland zu Grabe. Bei einigem Prunk bemerkte man auch Spuren wahren Gefühls. Während der Feierlichkeit des Einsenkens wurde meine Aufmerksamkeit durch ein junges Frauenzimmer angezogen, welches auf einem kürzlich erst mit Rasen bedeckten Grabhügel stand, den sie ängstlich vor den Tritten der vorübergehenden Menge zu bewahren suchte. Es war das Grab ihres Vaters, und die Gestalt dieser liebevollen Tochter gab ein schöneres Denkmal ab, als es das kostbarste Werk der Kunst sein konnte.«
    Ich will nur noch ein Beispiel von einer Grabesverzierung anführen, die ich einst in den Bergen der Schweiz bemerkt habe. Dieß war in dem Dorfe Gersau, welches an den Ufern des Luzernersee’s, am Fuße des Rigi, liegt. Es war einst die Hauptstadt einer kleinen Republik, zwischen den Alpen und dem See eingeschlossen, und auf der Landseite nur auf Fußsteigen zugänglich. Die ganze bewaffnete Macht der Republik betrug nicht über sechshundert streitbare Männer, und wenige Quadratmeilen, gleichsam aus den Bergen ausgehöhlt, bildeten ihr Gebiet. Das Dorf Gersau schien von der ganzen übrigen Welt getrennt zu sein, und hat noch die goldene Einfalt einer reineren Zeit behalten. Es hat eine kleine Kirche mit einem daranstoßenden Kirchhofe. An den Kopfenden der Gräber standen hölzerne oder eiserne Kreuze. An einigen derselben waren roh ausgeführte Gemälde befindlich, offenbar Bildnisse der Verstorbenen. An den Kreuzen hingen Blumenkränze, von denen einige verwelkt, andere aber frisch waren, als wären sie gelegentlich erneuert worden. Ich blieb theilnehmend vor dieser Scene stehen, ich fühlte, daß ich an der Quelle der dichterischen Schilderungen stand; denn alles dieß waren die schönen, anspruchlosen Gaben des Herzens, deren Dichter so gern gedenken. An einem lebendigeren und bevölkerteren

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