Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)
erzählen, damit ihr nicht der einzige, traurige, auf Erden noch gebliebene Trost geraubt würde – den, das Zimmer zu bewohnen, in dessen Nähe der schützende Schatten ihres Geliebten wache.
Es ist ungewiß, wie lange die gute alte Dame dieß Geheimniß bewahrt haben würde, denn sie sprach gern von wunderbaren Begebenheiten, und es liegt immer ein stiller Triumph darin, der Erste zu sein, der eine schauderhafte Geschichte vorträgt; man führt es indessen in der Gegend noch immer als ein merkwürdiges Beispiel weiblicher Verschwiegenheit an, daß sie das Geheimniß eine ganze Woche bewahrte, nach deren Verlauf sie alles weiteren Zwanges durch die Nachricht überhoben wurde, welche des Morgens beim Frühstück gebracht ward, daß die junge Dame nirgends zu finden sei. Ihr Zimmer war leer – ihr Bett unberührt – das Fenster war offen und der Vogel davongeflogen.
Das Erstaunen und den Schrecken, welche diese Nachricht erregte, können sich nur Diejenigen denken, welche den Eindruck beachtet haben, den das Unglück eines großen Mannes unter seinen Freunden hervorbringt. Selbst die armen Verwandten ließen Messer und Gabel einen Augenblick von der unermüdlichen Arbeit des Zerlegens ruhen; auf einmal aber rang die Base, die bis dahin starr dagestanden hatte, die Hände und kreischte: »das Gespenst! das Gespenst! sie ist von dem Gespenst entführt worden.«
Mit wenigen Worten erzählte sie nun den furchtbaren Auftritt im Garten, und schloß mit der Behauptung, daß das Gespenst seine Braut hinweggeführt haben müsse. Zwei von den Bedienten bestätigten diese Aussage, denn sie hatten um Mitternacht das Geklapper von Pferdehufen den Berg hinab gehört, und zweifelten nicht, daß es das Gespenst auf seinem schwarzen Rosse gewesen, das seine Braut zum Grabe hinweggeschleppt habe. Alle Anwesenden fühlten das gräßlich Wahrscheinliche dieser Aussage; denn Begebenheiten dieser Art sind in Deutschland überaus gewöhnlich, wie dieß manche sehr echte Geschichten beweisen.
Welche traurige Lage für den armen Baron! welche herzzerreißende Betrachtungen mußten sich nicht einem liebenden Vater und einem Gliede der großen Familie von Katzenellenbogen aufdringen! Seine einzige Tochter verschloß entweder das Grab, oder er bekam irgend einen Waldgeist zum Schwiegersohn, und vielleicht dereinst einen ganzen Haufen von Geisterenkeln. Wie gewöhnlich, machte ihn dieß alles vollständig verwirrt, und das ganze Schloß gerieth darüber in Aufruhr und Bewegung. Alle männliche Bedienten mußten aufsitzen und jeden Weg und Steg im Odenwalde durchstreifen; der Baron selbst hatte so eben seine Reisestiefeln angezogen, sein Schwerdt umgegürtet, und war im Begriff, sein Roß zu besteigen, um ebenfalls auf Nachforschung auszugehen, als eine neue Erscheinung der Sache eine andere Wendung gab. Man sah eine Dame sich dem Schlosse nähern, die auf einem Zelter ritt, und von einem Cavalier zu Pferde begleitet wurde. Sie galoppirte zum Thore hinauf, sprang vom Pferde, warf sich zu den Füßen des Barons und umfaßte seine Kniee. Es war seine verlorene Tochter, und ihr Gefährte – der Geister-Bräutigam. Der Baron konnte vor Erstaunen nicht zu sich kommen. Er blickte auf seine Tochter, dann auf den Geist, und konnte beinahe seinen Sinnen nicht trauen. Der Letztere hatte sich indeß wunderbar zu seinem Vortheil verändert, seit er seinen Besuch in der Geisterwelt abgestattet. Sein Anzug war glänzend, und seine Gestalt erschien darin im schönsten Ebenmaße. Er war nicht mehr bleich und schwermüthig. Auf seinem schönen Gesichte strahlte der Glanz der Jugend, und die Freude lachte in seinem großen dunkeln Auge.
Das Geheimniß war bald aufgeklärt. Der Cavalier (denn, wahrlich, Ihr müßt doch alle schon längst gemerkt haben, daß es kein Geist war) kündigte sich als den Freiherrn Hermann von Starkenfaust an. Er erzählte sein Abenteuer mit dem jungen Grafen. Er sagte, wie er nach dem Schlosse geeilt sei, um die schlimme Botschaft zu überbringen, wie aber die Beredsamkeit des Barons jeden seiner Versuche, seine Geschichte zu erzählen, vereitelt habe. Wie der Anblick der Braut ihn so ganz bezaubert, daß, um einige Stunden in ihrer Nähe zuzubringen, er stillschweigend den Irrthum habe fortdauern lassen. Er habe jedoch nicht gewußt, wie er sich auf eine anständige Art zurückziehen solle, bis des Barons Geistergeschichten ihn auf den Gedanken seines ungewöhnlichen Abzugs gebracht habe. Die angeerbte Feindschaft der Familien
Weitere Kostenlose Bücher