Gott´sacker (Krimi-Edition)
mehr und mehr. Zur Rettung des Rieds hatte sich schon eine Interessengemeinschaft ›Wasser für das Ried‹ gebildet, die die Ostrach mit ihrer Vorflutfunktion und andere Bäche dazu nötigen wollten, das austrocknende Ried wieder besser zu befeuchten.
Im Vorbeifahren wechselten sich in der vor Hitze flirrenden Landschaft Torfstiche und sogenannte Belegfelder zum Trocknen der herausgestochenen Wasenstücke ab. Heute ging dieser Beschäftigung des Torfstechens kaum mehr jemand nach, außer aus musealen oder folkloristisch-historischen Motiven. Niemand heizte mehr mit Torf, und keiner wusste so richtig, wie man mit diesem sensiblen Ökosystem umgehen sollte. Verlanden lassen, wieder bewässern, renaturieren.
Manchmal kamen kreischende Schulklassen mit hochmotivierten Lehrern im Rahmen eines handlungsorientierten Projekts zum Torfstechen. Ich fragte mich dann immer, ob diese hyperaktiven Schreihälse, die sofort mit den Spaten aufeinander losgingen, später alle Torfstecher würden?
Im Laufe weniger Jahre hatte sich auf den Trockenfeldern ein Urwald aus Birken, Kiefern, Espen und Fichten angesiedelt, und auf fein hergerichteten Wegchen eilten Pfunde verbrennende Touristinnen verzückt durch die urige Natur.
Wenige Meter neben der Straße schreckte eine Reiherente, durch den Sound des großvolumigen Motors gestört, aus den Gräsern, um laut schimpfend im moorig-dunklen Wasser des nächsten Tümpels zu landen. Schwimm- und Tauchblattgewächse, Röhrichte und Gräser jeglicher Art sind die beliebten Brutstätten des riedeigenen Federviehs, von Stock-, Krick- und auch der Reiherente, ebenso von Zwergtaucher, Bless- und Teichhuhn, von Rohrammer und der Wasserralle. Doch die schienen heute in der Hitze einen unsichtbaren Mittagsschlaf zu halten. Auch die Rohrweihe fühlt sich in den üppigen Schilfwäldern dieses moorigen Biotops zu Hause. Selbst der tropisch bunte Eisvogel, den man vom Namen her eher am Nordpol wähnt, hat hier im Ried nicht nur Gaststatus; immer häufiger erledigt er in unmittelbarer Nähe zu Riedhagen sein Brutgeschäft und lockt somit kamerabeladene Ornithologen an.
Auch Biberlieber kommen im Ried auf ihre Kosten, fern der Wanderspuren kann man abgenagte Baumstämme betrachten, die der Großnager bearbeitet hatte – sehr zum Missfallen der Landwirte, die eines Morgens ihre Wiesen rechts der Ostrach nur noch vom Schlauchboot aus mähen konnten.
Und obwohl ich Arachniden in jeglicher Form nicht schätze – ich gehöre zu den bedauernswerten Menschen, die eine genetische Prädisposition für eine Spinnenphobie haben – ist es aufregend und gruselig zu wissen, dass die große gelb-schwarze Zebraspinne ihr riesiges Netz nicht nur im Mittelmeerraum baut, sondern auch hier in meiner direkten Nachbarschaft.
An mir vorbei ziehen aber auch kultivierte Weideflächen, zwischen dem fetten Grün dominiert das Gelb des Löwenzahns, der seine Hauptblütezeit jedoch schon längst hinter sich hat. An den Ufersäumen war es das Gelb der Wasserschwertlilien, das den Kontrast zu dunklen Wassern bildete. Einige Stockenten dümpelten träge im Wasser eines beschilften Tümpels, als ich ihn passierte. Schwarz-weiße Kühe standen auf weichen Weiden im Schatten der Bäume oder stillten ihren Durst an mit Wasser gefüllten alten Güllefässern aus Zink. Ich hupte jeder Herde freundlich zu, dankbar glotzten sie mir nach.
Die zerfallene, schilfumwachsene Wendelinus-Kapelle tauchte vor mir wie eine Fata Morgana als spiegelndes Bild auf. Traurig stand das Kreuz schief auf der kleinen Turmspitze. Gemächlich kam sie näher.
Dann das Trugbild – die Alte war wieder da, auferstanden von den Toten – Margot stand mit weit gebreiteten Armen, ganz in Schwarz gekleidet, vor dem Weiß der Kapelle. Sie schien mir etwas sagen zu wollen, ihre Arme bewegten sich wie in Zeitlupe durch die vor Hitze spiegelnde Luft. Sie kam mit unsicheren Schritten durch die dürren Gräser auf die Straße zu und winkte immer noch mit beiden Armen, als ob sie mich anhalten wollte. Trotz der Hitze bemerkte ich eine Gänsehaut von meinen Armen aus bis zum Rücken hin. Ich zwinkerte mit den Augen, um die Erscheinung verschwinden zu lassen – keine Chance. Die Gestalt kam immer näher an die Straße herangeschwankt. Erst als ich wenige Meter entfernt war, erkannte ich Deodonatus Ngumbu, unseren breitschultrigen Pfarrer, in seiner unverzichtbaren Soutane. Er fuchtelte immer noch wie wild mit seinen Armen in der Luft herum. Ich manövrierte
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