Gott´sacker (Krimi-Edition)
getötet. Möge er vor dir Gnade wie ein Kind finden. Hier auf Erden soll er seiner gerechten Strafe nicht entgehen. Wir bitten dich, erhöre uns.«
Cäci hatte es eindeutig besser gemacht als ich, eigentlich schade, dass katholische Frauen nicht Pfarrerin werden dürfen, Cäci hätte eine sehr gute abgegeben. Es kamen keine weiteren Zurufe mehr aus der sonntäglich gekleideten Gemeinde. Deodonatus schien erleichtert und spulte routiniert den restlichen Gottesdienst herunter. Lediglich Missklänge des Organisten ließen einige Köpfe um 180 Grad drehen.
Zum Abschluss lud Deodonatus mit einer weit ausladenden Geste zum morgigen Doppelbegräbnis ein.
14
Der Mann grübelte. Hatte er doch einen Fehler gemacht? Nervös blätterte er im Alten Testament, ohne die Seiten zu beachten. Hatte sie ihn gemeint, als sie die Fürbitte sprach oder war es Zufall? Aber der Mann wusste, dass es keine Zufälle gibt. Sie hatte ihn und nur ihn gemeint.
Dann schlug er das Buch Genesis auf und las:
›23,6 Hör uns an, Herr! Du bist ein Gottesfürst in unserer Mitte. In der vornehmsten unserer Grabstätten darfst du deine Tote begraben. Keiner von uns wird dir seine Grabstätte versagen und deiner Toten das Begräbnis verweigern.‹
Die Textstelle hatte ihn bestätigt, gestärkt stand er auf. Er legte das Buch in die Schublade zurück und lief mit kräftigen Schritten durch die Werkstatt. Es zog ihn hin zu seiner Sammlung in der Ecke. Unter der Decke lagen sie, die schweren Kreuze.
Ich habe es genau gehört, sie hat vom Feuer gesprochen. Von Feuer und Hass. Sie weiß etwas. Sie hat auch vom Kind geredet. Aber nur das Kind ist ohne Schuld. Ich soll meiner Strafe nicht entgehen, sie meint mich. Und gerecht, was ist denn schon gerecht? Ist der Schindanger gerecht?
Was hat die überhaupt zu sagen? – Nichts. Sonst ist sie doch auch nicht da, aber sie ist schlau, das sieht man an den Augen, die gehen tief. Ich denke, sie wird mir gefährlich, bevor ich meine Aufgabe erfüllt habe. Ich muss etwas unternehmen. Sie ist zwar ohne Schuld, aber ich muss etwas unternehmen … etwas unternehmen … etwas.
Der Mann holte eins der schweren Kreuze unter dem öligen Tuch hervor und wog es in seinen Händen. Fast zärtlich fuhr er mit den Fingerspitzen über die porige Oberfläche des schwarzen Metalls. Der gusseiserne Heiland hielt seine Augen geschlossen.
Eine schwere Last musste der Herr da tragen, eine schwere Last muss auch ich tragen. Töten ist eine Last. Hoffentlich fehlt mir nicht die Kraft, es zu Ende zu bringen … Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich wünschte, es müsste nicht so sein.
Er stieß das Kreuz mit Wucht in den gewachsten Boden. Es stand kurz wippend schräg, dann fiel es auf den Fuß des Mannes.
Herrgott Sakrament, alles geht schief! Wenn ich nicht bald etwas unternehme, läuft mir alles aus dem Ruder.
15
Früh war ich an diesem Montag wach.
Meiner Körperhygiene widmete ich an diesem besonderen Tag etwas mehr Aufmerksamkeit. Im mintfarben gekachelten Badezimmer betrachtete ich kritisch den Menschen mir gegenüber. Die dunklen Haare hingen zerzaust und ungepflegt bis zur Schulter. Der dreitägige Bart bedurfte einer scharfen Klinge. Ich streckte dem ungepflegten Menschen gegenüber die Zunge heraus. Respektlos tat er es mir gleich. Die Zungen waren ohne Belag. Obwohl ich es von meiner Zunge nicht definitiv wusste, die meines Spiegelbildes war auf jeden Fall in Ordnung. Die kritischen graugrünen Augen wanderten über die behaarte Brust bis zum kleinen Bauchansatz. Der schmale Badezimmerspiegel begrenzte den Blick weiter nach unten. Eine Ganzkörperdusche hinter dem geblümten Plastikvorhang reinigte mein Äußeres und gab meinem Inneren auch irgendetwas. Wie immer hatte ich die akkubetriebene Zahnbürste mit unter die Dusche genommen – ich singe nicht unter der Dusche.
Erst nachdem ich mich gründlich abgetrocknet und rasiert hatte – das brachte bestimmt ein paar Gramm zu meinen Gunsten – stellte ich mich auf die geerbte Krups-Präzisions-Personenwaage mit dem dunkelgrünen Kunstlederüberzug aus den späten 60er-Jahren. Ohne digitalen Firlefanz und ohne 20-bändige Bedienungsenzyklopädie zeigte sie nach fast 50 Jahren Wiegetätigkeit durch ein zyklopenähnliches Vergrößerungsauge immer noch das exakte Gewicht des Stehers an.
Obwohl man der Ehrlichkeit halber sagen muss, dass meine Mutter die Waage meines Wissens nie benutzt hatte, aus Gründen, die sie immer verschwieg, und mein Vater, den ich
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