Gott´sacker (Krimi-Edition)
schienen noch lästiger als sonst.
Um 13 Uhr begann sich die Kirche langsam zu füllen. Aus den ersten beiden Reihen wurden die voreiligen Schüler vertrieben, trotzdem blieben sie lange unbesetzt. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, sie für die Angehörigen freizuhalten. Um 14 Uhr war die Kirche brechend voll. Kalner und ich mussten die beiden gemeindeeigenen Außenmegafone installieren, um den Trauergottesdienst ins Freie zu übertragen.
»Die Scheiß-Dinger werden eh wieder nicht funktionieren«, maulte der schwitzende Kalner vor sich hin.
Mit Draht und Klebeband befestigten wir die beiden altersschwachen Megafone, die an lange unlackierte Bohnenstangen geschraubt waren, an den Dachrinnen des Kirchendaches.
Die Menschen standen bald auf den gekiesten Wegen, selbst zwischen den Gräbern suchten sie einen Platz, von dem aus sie wähnten, das Geschehen am besten beobachten zu können. Die Schatteninseln der Friedhofsbäume waren längst belegt. Vor allem Frauen hatten sich aus dem gelben Papier der fotokopierten Gottesdienstlieder, die von eifrigen Ministrantinnen verteilt wurden, einen Fächer gebastelt und wedelten sich damit hektisch die heiße Luft um die Nase. Die Männer wischten sich mit karierten Stofftaschentüchern über Stirn und Glatze. Einige der Trauergäste waren noch einmal umgekehrt und hatten sich Campingstühle aus ihren Häusern oder Autos geholt.
Die Sonne stand erbarmungslos am weißlich blauen Himmel, der Schatten des Glockenturmes mit seinem Zwiebelende war die begehrteste Stelle im Außenbereich. Die Gräber waren zur Beerdigung mit frischen Blumen hergerichtet worden, was noch mehr Insekten bewog, von den Kuhfladen abzulassen und zum Friedhof zu fliegen. Das Gesumme der fliegenden Tierchen und das melancholische Gezirpe der Grillen verdichteten die morbide Stimmung.
In der Kirche war es ohne direkte Sonneneinstrahlung erträglicher, obgleich das überdimensionale Quecksilberthermometer im Inneren neben dem Eingang 29 Grad anzeigte.
Kalner hatte vorsorglich, um hitzebedingte Ohnmachtsanfälle bekämpfen zu können, eine 0,5-Liter-Flasche Kölnisch Wasser und drei Flaschen Mineralwasser in einer Kühlbox mitgebracht, die er in der Sakristei stationierte.
»Falls wieder eine umkippt«, zwinkerte er mir zu.
Die Trauerfeier mit einer vorgezogenen Eucharistiefeier, weil die beiden Verstorbenen aus dem kirchlichen Milieu stammten, war durch die Hitze anstrengend, und ich konnte mir wieder nicht erklären, warum Gottesdienste, bei denen viele Menschen anwesend sind, deutlich länger dauern als Gottesdienste, bei denen ganz wenig Gläubige anwesend sind. Zur Kommunion gingen heute nur die ersten beiden Reihen, in einem normalen Gottesdienst sind das oft sogar ein paar mehr, die den Leib Christi empfangen wollen. Vielleicht wird bei vielen Anwesenden langsamer gesungen?
Deodonatus war nicht langsamer als sonst und er sah mit seiner schwarzen Augenklappe recht verwegen aus. Seine Predigt war gut, er lobte die beiden Ermordeten als wichtige Gemeindeglieder, die sich mit aller Kraft für den Glauben eingesetzt hätten. Er erwähnte allerdings auch in einem Nebensatz die unterschiedlichen theologischen Ansätze zwischen dem ehemaligen Pfarrer und dem neuen.
Das Schlusslied ›So nimm denn meine Hände‹ war der Tränen-Hit. Wer bisher noch nicht geweint hatte, tat es jetzt. Auch ich benötigte ganz kurz ein Taschentuch, nicht wegen Margot und Sütterle – sondern wegen des Liedes.
Mit dem Hinausfahren der Särge in die Gluthitze hin zu den beiden ausgehobenen Gräbern war mein Dienst beendet. Das Kondolieren an den Gräbern konnte ich mir in meiner Position jedoch nicht ersparen.
Cäci hatte durch die Menschenmenge wie ein Magnet zu mir gefunden und drückte mir die Hand. Zäh ging es zu den Gräbern voran.
Aus großer Distanz verfolgten wir die Beisetzung der beiden. Durch die pfeifend rückkoppelnden Megafone konnten wir Deodonatus kaum verstehen. Brauchten wir auch nicht, wir kannten das Ritual. Die eigentliche Beisetzung mit ihren katholischen Bräuchen ging dann recht schnell vonstatten und Deodonatus mit seinen Ministrantinnen verließ nun die Trauergemeinde. Zügig liefen sie zur Sakristei, um sich umzuziehen.
Die abschließende Kondolenzprozedur vor den engsten Angehörigen der Ermordeten konnte noch lange dauern, die Menschenschlange schien wie fest zementiert, es ging keinen Zentimeter voran. Cäci drückte mir kurz die Hand und flüsterte: »Das halte ich nicht mehr aus,
Weitere Kostenlose Bücher