Gottspieler
Oberhand. Sie stand auf, ging am Schreibtisch der Sprechstundenhilfe vorbei und in das Sprechzimmer ihres Mannes.
Sie war noch nicht oft hier gewesen. Ihr Blick schweifte über die Fotos von Thomas und anderen berühmten Herzchirurgen auf dem Bücherregal. Sie konnte nicht umhin zu registrieren, daß kein Bild von ihr darunter war. Lediglich eins von Patricia, allerdings ein Gruppenbild mit Thomas senior und Thomas selbst, als er noch aufs College ging.
Nervös rutschte Cassi auf den Stuhl hinter dem Schreibtisch. Fast automatisch fand ihre Hand den Weg zur zweiten Schublade von oben, der gleichen, in der sie auch zu Hause die Tabletten gefunden hatte. Als sie sie herauszog, kam sie sich wie eine Verräterin vor. Thomas war die ganze letzte Woche über so wunderbar zu ihr gewesen. Und doch, da lagen sie:eine ganze Miniaturapotheke, bestehend aus Percodan, Demerol, Valium, Morphium, Talwin und Dexedrine. Hinter den Plastikdöschen entdeckte Cassi ein paar Mail-Order-Formulare eines Pharmakonzerns von jenseits der Staatsgrenze. Der Name der Firma lautete Generic Drugs Inc. Bei dem verschreibenden Arzt handelte es sich um einen Allan Baxter, M.D. – derselbe Name, den sie auch auf den Präparaten zu Hause gefunden hatte.
Auf einmal hörte Cassi, wie die Tür des Wartezimmers geöffnet und wieder geschlossen wurde. Ihr Herzschlag setzte aus. Dann holte sie tief Luft, schob vorsichtig die Schublade zu und verließ hochaufgerichtet das Sprechzimmer.
»Lieber Gott!« rief Doris erschrocken. »Ich wußte gar nicht, daß Sie hier sind.«
»Ich bin vorzeitig entlassen worden«, antwortete Cassi mit einem Lächeln. »Wegen guter Führung.«
Nachdem sie sich von ihrem ersten Schreck erholt hatte, fühlte Doris sich bemüßigt, Cassi darüber zu informieren, daß sie gestern den ganzen Nachmittag damit verbracht hätte, alle Termine für heute abzusagen, damit Thomas sie nach Hause fahren konnte. Dabei schloß sie die Tür zum Sprechzimmer, nachdem sie einen Blick hineingeworfen hatte.
Cassi ignorierte Doris’ Versuch, ihr ein schlechtes Gewissen einzureden, und fragte: »Wer ist Dr. Allan Baxter?«
»Dr. Baxter war ein Kardiologe, dem die angrenzende Praxis gehörte. Wir haben sie übernommen, als wir unsere Praxis um einen zusätzlichen Untersuchungsraum erweitern mußten.«
»Wann ist er umgezogen?«
»Er ist nicht umgezogen. Er ist gestorben.« Doris nahm hinter ihrer Schreibmaschine Platz und begann, sich mit dem Material auf ihrem Schreibtisch zu beschäftigen. Ohne Cassi noch einen weiteren Blick zu schenken, sagte sie: »Wenn Sie sich setzen möchten, ich bin sicher, daß Thomas jeden Moment zurückkommen muß.«
»Ich denke, ich warte lieber in seinem Sprechzimmer.«
Der Kopf der Sprechstundenhilfe schoß hoch. »Thomas sieht es nicht gern, wenn sich jemand in seinem Sprechzimmer aufhält, während er fort ist«, protestierte sie mit Nachdruck.
»Durchaus verständlich«, antwortete Cassi. »Aber ich bin nicht irgend jemand. Ich bin seine Frau.«
Sie marschierte an dem Mahagonischreibtisch vorbei, trat ins Sprechzimmer und schloß die Tür hinter sich, wobei sie halb und halb damit rechnete, daß Doris hinter ihr herstürmte. Aber die Tür blieb geschlossen, und gleich darauf setzte das Rattern der Schreibmaschine ein.
Rasch holte Cassi eins der Bestellformulare aus der Schublade und stellte fest, daß es nicht nur mit Dr. Baxters Namen bedruckt war, sondern auch seine Nummer bei der Gesundheitsbehörde trug. Sie hob den Telefonhörer ans Ohr und rief über eine direkte Leitung nach draußen die Abteilung Drogenbekämpfung des Gesundheitsamts an. Der Sekretärin, die am anderen Ende abhob, erklärte sie, daß sie eine Frage einen bestimmten Arzt betreffend hätte.
»Ich glaube, da sprechen Sie besser mit einem unserer Inspektoren«, sagte die Sekretärin freundlich.
Cassi wurde gebeten zu warten. Ihre Hand zitterte. Binnen kurzer Zeit kam einer der Inspektoren an den Apparat. Cassi stellte sich als Ärztin am Boston Memorial vor. Außerordentlich herzlich fragte der Inspektor, wie er ihr behilflich sein könne.
»Ich hätte nur gern eine Information«, sagte Cassi. »Und zwar habe ich mich gefragt, ob Sie in Ihrer Abteilung wohl Buch über die Verschreibungsgepflogenheiten einzelner Ärzte führen.«
»Das tun wir in der Tat«, sagte der Inspektor. »Wir geben alle Informationen, die im Zusammenhang mit verschreibungspflichtigen Medikamenten, Drogen oder Narkotika stehen, in einen Computer. Wenn Sie
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