Gottspieler
stürmte Thomas schon aus dem Zimmer und die Treppe hinauf. Im ersten Stock konnte er die Brandung an der nahen Küste hören. Die Wellen mußten mindestens anderthalb bis zwei Meter hoch sein. Er liebte dieses Geräusch; es erinnerte ihn an seine Kindheit.
Er ging in sein Arbeitszimmer und schob sich mit zitternden Fingern ein Percodan in den Mund. Einen Moment lang erwog er, in die Stadt zurückzufahren, um Doris zu besuchen. Aber bald begann das Percodan zu wirken, und er beruhigte sich. Statt in die kalte Nacht hinauszulaufen, schenkte er sich einen Scotch ein.
13
Cassi hatte gehofft, mit der Zeit würde sie sich an die Lampe gewöhnen, aber jedesmal, wenn Dr. Obermeyer sie untersuchte, fand sie das grelle Licht genauso quälend wie vorher. Seit ihrer Operation waren fünf Tage vergangen, und von dem Insulinschock abgesehen, verlief ihre Rekonvaleszenz ruhig und ereignislos. Dr. Obermeyer hatte ihr jeden Tag einen Besuch abgestattet, einen Blick auf das linke Auge geworfen und stets gesagt, die Dinge sähen gut aus. Heute, am Tag ihrer Entlassung, hatte er sie noch einmal zu einem letzten »guten« Blick in seine Praxis bestellt.
Zu ihrer Erleichterung knipste er endlich die Lampe an seiner Stirn aus.
»Tja, Cassi, die Ader, der Sie den ganzen Ärger verdanken, ist in gutem Zustand, und es hat auch keine neuen Blutungen gegeben. Aber das brauche ich Ihnen ja nicht zu sagen, denn Ihre Sehfähigkeit hat sich ungeheuer verbessert, wie wir beide wissen. Ich möchte Sie in absehbarer Zeit noch einem Fluorescein-Test unterziehen, und irgendwann in der Zukunft werden Sie vielleicht eine Laser-Behandlung brauchen, aber aus dem Gröbsten sind Sie jedenfalls heraus.«
Cassi hatte keine Ahnung, was sich hinter dem Begriff Laser-Behandlung verbergen mochte, aber sie war so froh, das Krankenhaus verlassen zu können, daß er ihre Begeisterung nicht im mindesten zu trüben vermochte. Überzeugt, daß ihre Furcht vor Thomas allein auf Einbildung zurückzuführen und sie an ihren derzeitigen Problemen nicht ganz schuldlos war, hatte sie es eilig, nach Hause zu kommen und das leckgeschlagene Schiff ihrer Ehe wieder flottzumachen.
Nach dem Packen setzte sie sich auf die Bettkante und wartete auf Miss Stevens. Thomas hatte die Praxis für den Nachmittag geschlossen und wollte Cassi gegen eins oder halb zweipersönlich nach Hause fahren. Seit sie eingeliefert worden war, hatte er ihr soviel liebevolle Zuwendung geschenkt wie selten zuvor. Irgendwie hatte er die Zeit gefunden, sie vier- oder fünfmal am Tag zu besuchen, wobei er manchmal sogar zum Abendessen mit ihr und ihren Zimmergenossinnen geblieben war. Alle waren begeistert von ihm. Seine Urlaubspläne hatten ebenfalls Gestalt angenommen, so daß sie mit Dr. Obermeyers Segen in anderthalb Wochen in die Karibik aufbrechen würden.
Allein der Gedanke an den Urlaub beglückte Cassi über alle Maßen. Abgesehen von ihrer Hochzeitsreise nach Europa, während der Thomas in Deutschland noch einige Vorlesungen gehalten und gelegentlich operiert hatte, waren sie nie länger als drei oder vier Tage miteinander weggefahren. Sie freute sich auf Martinique wie eine Fünfjährige auf Weihnachten.
Sogar Dr. Ballantine hatte ihr während ihres Klinikaufenthalts einen Besuch abgestattet. Der Insulin-Zwischenfall schien ihn ziemlich erschüttert zu haben, und Cassi überlegte, ob er sich aufgrund ihrer Gespräche vielleicht dafür verantwortlich fühlte. Als sie das Thema zur Sprache bringen wollte, war er aber nicht bereit, darüber zu reden.
Thomas indes hatte alle anderen um Längen geschlagen; ohne ihn wären die Tage in der Klinik bestimmt nicht so angenehm verlaufen. Er war so ausgeglichen gewesen, daß sie sogar den Mut gefunden hatte, mit ihm über Robert zu reden. Sie fragte ihn, ob sie ihm wirklich in der Nacht von Roberts Tod in Roberts Zimmer begegnet sei oder ob sie das nur geträumt hätte. Thomas lachte und sagte, daß er sie tatsächlich in der Nacht vor ihrer Operation dort gefunden hätte. Sie sei völlig benommen gewesen und hätte allem Anschein nach nicht gewußt, was sie eigentlich tat.
Cassi war froh zu erfahren, daß sie sich nicht alle Ereignisse jener Nacht eingebildet hatte, und obwohl manche Erinnerungen ihr noch immer vage und unklar erschienen, war sie bereit, sie in erster Linie als Ausgeburten ihrer Einbildungskraft zu betrachten. Vor allem, nachdem Joan ihr die Macht des Unbewußten klargemacht hatte.
Miss Stevens steckte ihren Kopf zur Tür
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