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Gottspieler

Gottspieler

Titel: Gottspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
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diesen weißhaarigen, freundlichen alten Doktor, den jeder mochte und mit Beifall bedachte. In Wahrheit sollte Ballantine vielleicht gar nicht mehr in den Operationssaal gehen, obwohl niemand den Mut aufbrachte, ihm das ins Gesicht zu sagen. Jeder in der Abteilung wußte, daß einer der Brustchirurgen mehr oder weniger nichts anderes zu tun hatte, als sich in allen Fällen, die Ballantine übernahm, als Assistent zur Verfügung zu stellen, damit er dem Chef beispringen konnte, wenn er pfuschte. Soviel zum Thema akademische Medizin, dachte Thomas. Dank seiner Assistenten konnte Ballantine akzeptable Ergebnisse vorweisen, und seine Patienten und deren Familien verehrten ihn trotz allem, was im OP vorging, sobald der Patient anästhesiert war.
    Thomas war mit Larry völlig einer Meinung. Es wäre in der Tat nur recht und billig gewesen, wenn er, Dr. Thomas Kingsley, die Abteilung geleitet hätte. Schließlich führte er die meisten Operationen durch. Er und niemand sonst war es gewesen, der aus dem Boston Memorial das Krankenhaus gemacht hatte, für das man sich als erstes entschied, wenn man einen Eingriff am Herzen durchführen lassen wollte. Sogar Time hatte sich in diesem Sinne geäußert.
    Trotzdem wußte Thomas nicht zu sagen, ob er eigentlich noch die Leitung der Herzchirurgie übernehmen wollte. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, in der er an nichts anderes denken konnte. Es war eins der wichtigsten Ziele seines Lebens gewesen, hatte ihn zu immer größeren Anstrengungen undimmer mehr persönlichen Opfern getrieben. Es war ihm logisch erschienen, und den meisten seiner Kollegen auch – selbst als er noch ganz am Anfang gestanden hatte. Aber das lag jetzt schon einige Jahre zurück, bevor dieser ganze administrative Unsinn sein häßliches Haupt erhoben und ihm gezeigt hatte, wie er ihn in der Ausübung seiner Kunst zu behindern vermochte.
    Thomas hielt in seinen Bewegungen inne und starrte vor sich hin. Er fühlte sich leer. Die Erkenntnis, daß ein derart lang verfolgtes Ziel möglicherweise nicht mehr von Bedeutung für sein Leben sein könnte, war deprimierend, besonders wenn dieses Ziel sich endlich in Reichweite befand. Vielleicht gab es künftig nichts mehr, um das es sich zu kämpfen lohnte … vielleicht hatte er den Gipfel seiner Karriere erreicht. Gott, was für ein entsetzlicher Gedanke!
    »Es tut mir so leid, das von Ihrer Frau zu hören«, sagte Larry, als er sich hinsetzte, um in seine Schuhe zu fahren. »Wirklich eine Schande.«
    »Was soll das heißen?« fragte Thomas und betonte jede Silbe, denn er empfand solcherlei Vertraulichkeiten von Untergebenen als Affront.
    Larry, blind für die Reaktion seines Gesprächspartners, beugte sich vor und begann, die Schnürsenkel zu verknoten. »Ich meine das mit ihrer Diabetes und diese Augengeschichte. Ich habe gehört, sie muß sich einer Vitrektomie unterziehen lassen. Das ist schrecklich.«
    »Die Operation ist nicht endgültig«, schnappte Thomas.
    Larry hörte den Ärger in Thomas’ Stimme und blickte auf. »Ich wollte nicht ausdrücken, daß sie notwendigerweise endgültig sein muß«, sagte er hastig. »Entschuldigen Sie bitte, daß ich damit angefangen habe. Es muß schwierig für Sie sein. Ich wollte nur der Hoffnung Ausdruck geben, daß es ihr bald wieder besser geht.«
    »Meiner Frau geht es blendend«, sagte Thomas wütend.
    »Darüber hinaus glaube ich nicht, daß ihr Gesundheitszustand Sie auch nur das geringste angeht.«
    »Es tut mir leid.«
    In ungemütlichem Schweigen zogen die beiden Männer sich fertig an. Thomas schlang einen Knoten in seine Krawatte und massierte sich mit raschen, ungehaltenen Bewegungen ein Eau de toilette von Yves St. Laurent in die Haut. »Wo haben Sie dieses Gerücht gehört?« fragte er schließlich.
    »Von einem Kollegen in der Pathologie«, antwortete Larry. »Robert Seibert.« Er schloß seinen Spind und sagte, er sei im Genesungszimmer zu finden, wenn er gebraucht würde.
    Thomas fuhr sich mit dem Kamm durchs Haar und versuchte, sich zu beruhigen. Er hatte heute einfach keinen guten Tag. Jeder schien es darauf anzulegen, ihn auf die Palme zu bringen. Die Vorstellung, daß der Gesundheitszustand seiner Frau offenbar in aller Munde war, verdroß ihn. Außerdem fand er es demütigend.
    Er legte den Kamm in den Spind zurück, direkt neben ein kleines Plastikdöschen mit beigem Verschluß. Er öffnete das Döschen. Er nahm eine der darin enthaltenen gekerbten gelben Tabletten heraus, zerteilte sie und schob sich

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