Gottspieler
Luftzug das dunkle Wimmern des kalten Winterwinds mit sich. Als die Gestalt, die sich vorsichtig durch das Treppenhaus bewegte, die Tür zum achtzehnten Stock öffnete, zischte die Luft hinein wie in ein Vakuum.
Der Mann trug den üblichen weißen Krankenhauskittel und hatte daher keine Angst, daß man ihn sehen könnte, obwohl es ihm lieber war, wenn er unbemerkt blieb. Bevor er die Tür hinter sich zufallen ließ, überprüfte er sorgfältig, ob der Korridor in seiner ganzen Länge menschenleer war. Schließlich trat er auf den Gang hinaus.
Mit einer Hand in der Tasche seines weißen Kittels bewegte sich der Mann rasch und lautlos über den Flur auf Jeoffry Washingtons Zimmer zu. Vor der Tür blieb er stehen und wartete einen Moment. Im Schwesternzimmer herrschte Stille. Alles was er hören konnte, waren die gedämpften Piepstöne der Herzmonitore und das Zischen der Respiratoren.
In Sekundenschnelle hatte der Mann die Zimmertür geöffnet und wieder hinter sich geschlossen. Der Raum war dunkel bis auf einen schmalen Lichtstreifen, der aus dem Badezimmerfiel; die Tür war nur angelehnt. Sobald seine Augen sich an das Zwielicht gewöhnt hatten, zog der Mann die Hand aus der Kitteltasche. Seine Finger hielten eine Injektionsnadel. Er schob die Kappe der Nadel in die andere Tasche und bewegte sich flink auf das Bett zu. Dann erstarrte er. Das Bett war leer!
Jeoffry Washington gähnte so heftig, daß ihm das Wasser in die Augen schoß und seine Kieferknochen knackten. Er schüttelte den Kopf und warf die drei Wochen alte Ausgabe der Time auf den niedrigen Tisch. Er saß im Aufenthaltsraum der Patienten gegenüber dem Behandlungszimmer. Er stand auf und schob seinen Infusionsständer vor sich her, als er auf das halbdunkle Schwesternzimmer losging. Er hatte gehofft, daß ein kleiner Spaziergang über den Flur ihm helfen würde, müde zu werden, aber vergebens. Er war noch so munter, als wenn er sich die ganze Zeit im Bett herumgewälzt hätte.
Pamela Breckenridge sah ihn durch die offene Tür auftauchen, genau wie schon in den beiden Nächten vorher. Um Geld zu sparen, brachte sie sich ihr Essen von zu Hause mit, statt in die Cafeteria zu gehen, und Jeoffry erschien immer dann, wenn sie zu essen anfangen wollte.
»Könnte ich wohl noch eine Schlaftablette haben?« fragte er.
Pamela schluckte den Bissen, den sie im Mund hatte, hinunter und beauftragte eine der praktischen Schwestern, Jeoffry noch eine Dalmane zu geben. Dr. Sherman hatte ein Einsehen gehabt und 1 x rep. hinter seine ursprüngliche Verordnung geschrieben.
Jeoffry nahm die Tablette und den Papierbecher mit Wasser, den die Schwester ihm über den Tresen reichte, so nonchalant entgegen, als stünde er an einer Bar. Er schluckte die Tablette hinunter und trank den Becher aus. Gott, was hätte er jetzt nicht alles für ein paar Züge Gras gegeben. Er bedankte sich und trat gemächlich seinen Rückweg an.
Je weiter er sich vom Schwesternzimmer entfernte, desto dunkler war der Gang. Mit jedem Schritt wurde der Schatten, den er vor sich auf den Vinylboden warf, größer. Die Stange des Infusionsständers ließ ihn aussehen wie einen Propheten, der seinen Stab umklammerte. Er öffnete die Tür, schob den Ständer ins Zimmer und stieß die Tür mit dem Fuß ins Schloß. Wenn er überhaupt Schlaf finden wollte, brauchte er völlige Dunkelheit.
Er baute den Ständer neben dem Bett auf, setzte sich auf die Matratzenkante und wollte gerade die Füße hochschwingen, als er einen leisen Schrei ausstieß.
Wie ein Geist tauchte eine weißgekleidete Gestalt aus dem Badezimmer auf.
»Mein Gott!« sagte Jeoffry und atmete hörbar aus. »Sie haben mir aber einen ganz schönen Schrecken eingejagt.«
»Leg dich hin, bitte.«
Jeoffry gehorchte sofort. »Um diese Zeit hätte ich Sie nie erwartet.«
Er sah zu, wie der Besucher eine Spritze aus der Tasche zog und den Inhalt in seine IV-Flasche injizierte. Er schien einige Schwierigkeiten zu haben, denn die Flasche schlug wiederholt gegen den Ständer.
»Was geben Sie mir denn da?« fragte Jeoffry, unsicher, ob er überhaupt fragen sollte, aber seine Neugier war stärker als die Hemmungen. »Vitamine.«
Jeoffry fand, daß es eine komische Zeit sei, um mit Vitaminen versorgt zu werden, aber andererseits war ein Krankenhaus ja auch ein komischer Ort.
Sein Besucher gab es endlich auf, die Nadel durch den Boden der Infusionsflasche stechen zu wollen, und widmete sich jetzt der Injektionskanüle an dem Gummischlauch
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