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Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion

Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion

Titel: Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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verlassen und draußen zu schlafen. Es dauerte stets lange, bis dieser Entschluß zustande kam, denn nicht nur die Trägheit mußte überwunden werden, sondern eine tief eingewurzelte Überzeugung und eine schwer zu brechende Tradition: Nur auf Märschen schlief man unter freiem Himmel, im Posten war es Sitte, unter einem Dach zu schlafen. Das Dach, das den Himmel ausschaltete, und die Wände, die der Luft wehrten, das war etwas, was ihnen im Posten gebührte, was sie sich nicht ohne weiteres rauben ließen.
    In der Mitrailleusensektion begann die Auswanderung, und es war Korporal Koribout, ein Neuer, der noch keine Tradition zu brechen hatte, der zuerst seine Matratze ins Freie schleppte. Ihm folgte Schilasky, ein Deutscher, dessen Körper so flach und hölzern war, daß er wie eine wandelnde Scheibenfigur wirkte. Auch Todd folgte ihnen. Sie waren dem gleichen Geschütz zugeteilt worden und verstanden sich auch sonst gut.
    Die drei bildeten eine Gruppe, scharf getrennt von der Masse der übrigen, die ihre Matratzen dicht aneinanderreihten, um keinen Zwischenraum zwischen sich aufkommen zu lassen. Sie fürchteten das Alleinsein mehr als irgend etwas.
    Sie sprachen wenig, ein Witzbold genügte in der Gruppe, um die notwendigen Worte zu sprechen und den Gedanken der Masse Ausdruck zu verleihen: über das Essen, den Dienst, die Kleider, die Löhnung, die Verdauung und die Weiber. Aber von der Hitze war der Sprecher der Gruppe, der Berliner Kraschinsky so erschöpft, daß er es nur zu Ausrufen brachte, wie: »Kinder… Nee… diese Hitze…« Sie waren alle nur mit Hemden bekleidet und ihre Beine wuchsen daraus hervor, leichenhaft gelb.
    Korporal Koribout lag zwischen seinen beiden Kameraden. Er trug Unterhosen, und seine Füße glänzten fett. Sie waren vom letzten Marsch noch wund, und er hatte sie mit einer Speckschwarte eingerieben. Seine Mutter sei eine Deutsche gewesen, hatte er erzählt, und er liebe diese Sprache. Darum verkehre er weniger mit den Russen.
    »Ich habe heute ein Gedicht gemacht«, flüsterte er, »in russischer Sprache, aber ich will versuchen, es euch zu übersetzen. Oder langweilt es euch?«
    Die beiden anderen verneinten durch ein Brummen.
    »Nun also«, sagte Koribout. Er setzte sich auf, zog unter seinem Kissen ein schwarzes Wachstuchheft hervor, blätterte lange, blieb manchmal an einer Seite hängen, fand endlich, was ersuchte und begann:
    »Wie viele lange Tage sind wir vorbeigewandert
an trockenen Gräsern,
und haben das Bild gesucht der Frau, die mit uns
in einem kleinen Boot gefahren ist.
Blau war damals das Meer und lachte mit den
weißen Zähnen seiner Schaumkronen.
Seit dieser Zeit sind wir allein gewesen.
Nie mehr sehen wir die Frau, die ferne,
nur manchmal, in einem wachen Traum,
schreitet sie auf den Spitzen der verdorrten Gräser
und grüßt uns mit müder Hand.«
    Er unterbrach sich. »Das ist nicht ganz richtig übersetzt«, er murmelte ein russisches Wort, sprach es gedehnt aus, so, als wolle er den Geschmack des Wortes finden, zog die Luft ein, wie um einen verwehten Duft einzufangen, schüttelte dann traurig den Kopf. »Ich finde es nicht«, flüsterte er. »Müde… es ist ein anderes Wort als müde! Traurig zugleich und hingegeben und doch gelangweilt. Es gibt kein solches Wort auf deutsch. Aber der Vers ist schön, nicht wahr?« Er wiederholte.
    »Schreitet sie auf den Spitzen der verdorrten Gräser.«
    Er schwieg. Die anderen blickten in die Sterne, und auch sie schwiegen. Sie wagten einander nicht anzusehen, und eine große Verlegenheit wuchs zwischen ihnen auf. Sie schämten sich für den Dichter und für das, was er ausgedrückt hatte, schämten sich, ohne zu wissen, warum, weil er Dinge ausgedrückt hatte, die vielleicht richtig waren, aber die doch verschwiegen werden müssen, weil sie ausgedrückt mit Worten doch zu einer Unehrlichkeit, zu einer Lüge werden. Nicht zu einer groben Aufschneiderei, die schließlich unterhaltsam ist und die Zeit vertreibt, sondern zu einer tieferen Lüge, die einem vorübergleitenden Gefühl plötzlich Ewigkeit schenkt und Dauer. Dies war es wohl, was Todd meinte, als er verärgert brummte:
    »Du dichtest da etwas über eine Frau, meinst du eine bestimmte? Oder ist das nur so ein… ein… Traum?«
    Koribout stieß die Luft leise durch die runden Nasenlöcher, die mitten im Gesicht zwei dunkle Kreise waren; denn seine Nase war nach oben gestülpt. Dann sprach er wie ein Lehrer, der einem unwissenden Kinde längst bekannte Tatsachen

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