Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion
enthüllt, die es nur vergessen hat, sich zu merken:
»Natürlich habe ich diese Frau gekannt. Wie könnte ich sonst von der Erinnerung an sie so verfolgt werden, daß ich sie gestalten muß? Siehst du, ich habe bemerkt, daß wir hier viele sind, die von solchen Erinnerungen verfolgt werden. Tage, ja Wochen sind die Leute ruhig, und plötzlich werden sie traurig, wissen nicht mehr, was sie mit sich anfangen sollen, laufen gereizt herum, bis endlich an einem Abend sich alles entlädt. Wie ein Abszess, der aufplatzt und viel schmutzigen Eiter enthält…«
Schilasky nickte gedankenvoll. Es schien, als hätte der andere ihm aus dem Herzen gesprochen.
»Es braucht ja nicht immer eine Frau zu sein«, sagte er leise, rollte sich auf den Bauch und stützte den Kopf in die zur Schale geschlossenen Hände.
Koribout wollte nicht hören, er war zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
»Die Frau, von der ich schreibe, ja, ich habe sie gut gekannt – und auch geliebt, wie sehr!« Er redete stockend und ein wenig ungeschickt, um den Worten mehr Gewicht zu geben. »Ihr wißt ja, daß wir nach Konstantinopel zurückgedrängt wurden. Und wir waren alle arm. Ich hatte ein wenig Schmuck von meiner Frau, aber meine Frau selbst war verloren gegangen. Vielleicht hat sie nach Deutschland fliehen können. Nun gut, zu unseren Kreisen gehörte auch ein Ehepaar; er war ein großer brutaler Kerl und quälte seine Frau, die zart und schlank war. Sie hatten kein Geld, und ich habe sie unterstützt mit dem wenigen, das ich hatte. Ich weiß gut, daß der Mann von seiner Frau verlangte, sie solle mir entgegenkommen. Und sie tat es auch, zuerst. Aber dann merkte sie, daß sie mich lieb gewann, und da wurde sie zurückhaltender. Oh, oft haben wir ein Boot genommen und sind aufs Meer hinausgefahren. Der Mann saß im gedeckten Hinterschiff, er hatte auch noch den Vorhang vorgezogen, um uns ganz ungestört zu lassen. Dort betrank er sich. Und wenn er dann allein mit seiner Frau war, später am Abend, schlug er sie, um sich zu rächen und um seine Eifersucht loszuwerden. Und dabei lebte er doch von dem Gelde, das ich der Frau gab. Es ist nie etwas zwischen uns vorgefallen, dafür liebte ich sie viel zu sehr.«
Koribout sah immer lächerlicher aus; sein Gesicht war den Sternen zugewandt, er sperrte die Augen weit auf und blähte die Nüstern, manchmal riß es ihm die gefalteten Hände auseinander, und dann versuchte er die Stellung eines Adoranten einzunehmen, was schlecht zu seinem sauber geteilten Bart und seinen fleischigen Wangen passen wollte. Auch seine Sprache wollte er edel gestalten, darum dehnte er die Silben in gekünsteltem Singsang.
Todd gähnte.
»Aber ihr müßt begreifen«, fuhr Koribout fort, »daß ich diese Frau nicht vergessen kann. Die Gemeinschaft unserer Seelen war zu tief, wir haben zu lange das Wachsen unserer Leidenschaft beobachtet, das bindet mehr, glaubt mir, als ein fleischliches Erlebnis.«
Koribout schwieg. Nach einer Pause, in der er mit gekrümmten Fingern in der Luft gegraben hatte, förderte er mühsam folgende Feststellung zutage:
»Aber manchmal überfällt mich die Erinnerung an sie, und dann weiß ich mir nicht zu helfen. Diese Frau kommt zu mir zu Besuch, ihre Nähe ist so leibhaftig und quälend, daß ich weinen könnte. Und um den Schmerz zu bannen, versuche ich ihn zu beschwören. Ein Gedicht ist eine Beschwörung, nichts weiter. Andere müssen nur erzählen, sie brauchen ihr Erlebnis nicht schön zu formen. Ich aber muß dies tun, dann wirkt es besser.«
»Es ist ganz richtig, was Koribout da sagt«, bemerkte Schilasky, und wandte sich angriffslustig gegen Todd, auf dessen Gesicht ein höhnisches Grinsen eingetrocknet war. »Der Ackermann, der Korporal in der vierten Sektion ist, hat es ganz gleich. Ich kenne ihn gut, denn ich habe mich mit ihm zusammen in Mainz engagiert. Und er hat etwas ganz Ähnliches erlebt…«
Koribout war sogleich interessiert, Schilasky solle doch erzählen, meinte er. Sein süßlicher Ausdruck wurde durch einen angespannten, gierigen verdrängt. Er öffnete sein Wachstuchheft, feuchtete den Bleistift mit den Lippen an und wartete, wie ein geschulter Sekretär auf das aufzunehmende Diktat.
Es sei mit diesem Ackermann, wie Koribout sage. Er habe auch Besuche. Ob die anderen den Korporal kennten? Er sei, was man so einen Germanen nenne, blond und blauäugig, gut gebaut und begeistert für den Dienst. Er wolle hoch kommen, das habe er schon bei seinem Engagement geschworen.
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