Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grab im Wald

Grab im Wald

Titel: Grab im Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
Vom Netzwerk:
Zauber in erster Linie darauf beruht, dass er sich ernsthaft um Menschen kümmerte. Er war ein fantastischer Zuhörer gewesen. Er hatte sofort gemerkt, wenn jemand bedrückt war, und nach einer Möglichkeit gesucht, seinem Mitmenschen zu helfen. Alle hatten Iras Einfühlungsvermögen gesehen – die Camper, die Eltern, die Freunde. Aber für sein einziges Kind, für den Menschen, den er am meisten liebte, war es wie die wärmste Decke am kältesten Tag.
    Herrgott, er war so ein toller Vater gewesen. Und diesen Menschen vermisste sie so sehr.
    »Im Gästebuch steht, dass ein Manolo Santiago dich besucht hat.« Sie legte den Kopf schräg. »Erinnerst du dich an ihn, Ira?«
    Sein Lächeln verschwand.
    »Ira?«
    »Ja«, sagte er. »Ich erinnere mich.«
    »Was wollte er?«
    »Reden.«
    »Worüber wollte er reden?«
    Er sog die Lippen über die Zähne, als müsste er sie für immer verschließen.
    »Ira?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Erzähl’s mir bitte«, sagte sie.
    Ira öffnete den Mund, aber es kam nichts heraus. Schließlich flüsterte er: »Du weißt, worüber er reden wollte.«
    Lucy sah über ihre Schulter. Sie waren allein im Zimmer. Eve of Destruction war zu Ende. All the Leaves Are Brown erzählten ihnen jetzt The Mamas and the Papas.

    »Das Ferienlager?«, fragte sie.
    Er nickte.
    »Was wollte er wissen?«
    Ira fing an zu weinen.
    »Ira?«
    »Ich wollte nicht wieder dahin zurück«, sagte er.
    »Das weiß ich.«
    »Er hat immer weiter gefragt.«
    »Was hat er gefragt, Ira? Was wollte er wissen?«
    Ira vergrub sein Gesicht in den Händen. »Bitte …«
    »Bitte was?«
    »Ich kann nicht mehr dahin zurückgehen. Verstehst du? Ich kann nicht dahin zurück.«
    »Es kann dir nichts mehr tun.«
    Er nahm das Gesicht nicht aus den Händen. Seine Schultern zuckten. »Die armen Kinder.«
    »Ira?« Er wirkte ungeheuer verängstigt. »Daddy?«
    »Ich hab alle im Stich gelassen.«
    »Nein, das hast du nicht.«
    Er schluchzte jetzt haltlos. Lucy kniete sich vor ihn. Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen traten. »Bitte, Dad, sieh mich an.«
    Er tat es nicht. Die Schwester – Rebecca – erschien in der Tür.
    »Ich hol was«, sagte die Schwester.
    Lucy hob eine Hand. »Nein.«
    Ira schluchzte weiter.
    »Ich glaube, er braucht was. Zur Beruhigung.«
    »Noch nicht«, sagte Lucy. »Wir unterhalten uns … lassen Sie uns bitte allein.«
    »Ich bin für ihn verantwortlich.«
    »Ihm geht’s gut. Das ist ein Privatgespräch. Da kommen schon mal Gefühle hoch, das ist alles.«

    »Ich hol die Ärztin.«
    Lucy wollte ihr sagen, dass sie das nicht sollte, da war sie aber schon verschwunden.
    »Ira, hör mir bitte zu.«
    »Nein …«
    »Was hast du ihm gesagt?«
    »Ich konnte nur ein paar beschützen. Verstehst du das?«
    Sie verstand ihn nicht. Sie legte ihre Hände auf seine Wangen und versuchte, seinen Kopf anzuheben. Er schrie so laut, dass sie fast nach hinten umgefallen wäre. Sie ließ ihn los. Er sprang auf, und der Stuhl fiel um. Er kauerte sich in die Ecke: »Nein …!«
    »Schon gut, Daddy. Es ist …«
    »Nein!«
    Schwester Rebecca kam mit zwei anderen Frauen zurück. Eine erkannte Lucy als die Ärztin. Die andere – Lucy nahm an, dass es sich um eine weitere Schwester handelte – hatte eine Injektionsspritze in der Hand.
    Rebecca sagte. »Alles in Ordnung, Ira.«
    Sie gingen auf ihn zu. Lucy trat ihnen in den Weg. »Raus hier«, sagte sie.
    Die Ärztin – auf dem Namensschild stand Julie Contrucci – räusperte sich. »Er ist sehr erregt.«
    »Das bin ich auch«, sagte Lucy.
    »Wie bitte?«
    »Sie haben gesagt, dass er erregt ist. Na toll. Erregung ist Teil des Lebens. Ich bin manchmal sehr erregt. Sie sind bestimmt auch manchmal sehr erregt, oder? Wieso darf er nicht erregt sein?«
    »Weil es ihm nicht gut geht.«
    »Das wird schon wieder. Ich brauche ihn noch ein paar Minuten klar.«
    Wieder schluchzte Ira.

    »Wollen Sie behaupten, dass alles in Ordnung ist?«
    »Ich brauche Zeit mit ihm.«
    Dr Contrucci verschränkte die Arme. »Das liegt nicht in Ihrem Ermessen.«
    »Ich bin seine Tochter.«
    »Ihr Vater ist freiwillig hier. Er kann kommen und gehen, wann er will. Sie haben Betreuungsvollmacht. Es ist seine Entscheidung.«
    Contrucci sah Ira an. »Sollen wir Ihnen ein Beruhigungsmittel geben, Mr Silverstein?«
    Iras Blicke schossen hin und her, wie bei einem in die Ecke getriebenen Tier, zu dem er jetzt geworden war.
    »Mr Silverstein?«
    Er sah seine Tochter an. Dann fing er wieder an zu

Weitere Kostenlose Bücher