Grabesdunkel
Der zweite Artikel enthielt das Exklusivinterview mit Ewald Knutsen und trug die Titelzeile: »Ich sah, wie sie die Leiche im See versenkten«. Der dritte Artikel unter der Ãberschrift »Jagd auf Serienmörder« stellte die These auf, dass Ester und Helle denselben Tätern zum Opfer gefallen waren. Das würde drei Doppelseiten ergeben. Ressortleiter Fredrik Telle saà schweigend da und las die Artikel auf dem Bildschirm, während Joakim wartete.
»Das ist weit mehr, als du angekündigt hast«, sagte er, nachdem er fertig war.
»Ich wusste ja nicht, dass es sich bei der Ermordeten um Ester handelt.«
»Wir bringen das in der von dir vorgeschlagenen Reihenfolge. Ich denke, du solltest dir jetzt ein Bier im Stopp Pressen gönnen.«
Joakim befolgte Telles Rat. Im Lokal hing der Fotograf Rasmus Sender mit mehreren Kollegen an der Theke herum. Joakim setzte sich zu ihnen. Er wollte sich gerade ein Bier bestellen, als er Helene Muus Mikalsen an einem der Tische sitzen sah. Im Moment strotzte er nur so vor Selbstbewusstsein. Er wusste, dass VG und Dagbladet gegenüber Nyhetsavisen morgen sehr viel schlechter abschneiden würden.
Rasmus und die anderen Kollegen waren viel zu sehr in ihre Saufdiskussionen vertieft, um zu merken, dass Joakim nach seiner Jacke griff und ging. Er steuerte zielstrebig auf Helene zu. Sie hatte einen leichten Schwips, er sah es an der Art, wie sie lachte und den Kopf in den Nacken warf. Als er vor ihr stand, beugte er sich zu ihr hinunter und flüsterte ihr ins Ohr: »Hast du Lust auf einen Absacker bei mir?«
Sie drehte sich um, guckte ihn zunächst überrascht an, dann nickte sie kurz, so schnell, dass ihre schwarze Mähne flatterte. »Warte drauÃen auf mich, ich muss nur noch meine Sachen holen.«
Joakim sah sie verwundert an. Das war leichter gewesen, als er gedacht hatte.
Helene ging schweigend neben ihm zum Taxistand. Diesmal wollten sie zu ihm nach Hause. Er war so geil, dass er kein Wort herausbekam, als sie die Treppe hochstiegen. Er hörte an ihrem Atem, dass es ihr nicht anders ging. Kaum waren sie in der Wohnung, drückte er sie gegen die Wand in der Diele. Sie streiften die Kleider ab, und er trug sie ins Schlafzimmer, wo sie im Bett weitermachten.
Hinterher ging er ins Bad. Er wusch sich schnell und lächelte sich im Spiegel zu. Sie war hier, bei ihm zu Hause. Als er zurückkam, erlebte er eine Ãberraschung. Helene stand mitten im Zimmer und zog sich an.
»Du darfst es mir nicht übelnehmen, aber ich muss los.«
»Jetzt?«
Sie nickte. »Ich muss morgen früh in die Redaktion, um euch das Fell über die Ohren zu ziehen.«
Joakim lachte und versuchte, seine Enttäuschung zu verbergen. »Ich rufe dir ein Taxi.«
Helene lächelte ihn geheimnisvoll an, bevor sie nach ihrer Tasche griff und die Treppe hinunterlief.
Kapitel 39
Montag, 9. Mai
Der Wecker klingelte laut und gnadenlos. Es war noch früh, und er hatte starke Kopfschmerzen. Unter der Dusche drehte er das Wasser glühend heià auf. Auch diese Nacht war ihm eiskalt gewesen. Der Fall schwirrte in seinem Kopf herum. Die Fragen vom Vorabend waren nach wie vor unbeantwortet. Ester war tot. Wo zum Teufel war die Verbindung? Worauf hatten die beiden Freundinnen sich eingelassen?
Joakim erschien früh in der Redaktion, holte sich einen Kaffee und je ein Exemplar von VG und Dagbladet. Dagbladet brachte, wie zu erwarten gewesen war, einen Artikel über eine junge, namenlose Frau, die man tot in Nordmarka gefunden hatte, während die Titelseite von VG identisch mit der von Nyhetsavisen war, auÃer dass VG sehr viel reiÃerischer aufgemacht war. Zuerst begriff Joakim gar nichts. Nyhetsavisen und VG hatten dieselbe Hauptschlagzeile: »Freundin tot aufgefunden â ich habe die Mörder gesehen«. Der einzige Unterschied war der, dass Nyhetsavisen auÃerdem noch ein Bild von Ewald Knutsen abgedruckt hatte.
Zunächst war Joakim wie vor den Kopf geschlagen. Er war davon ausgegangen, dass sie exklusiv über die Identifizierung von Ester berichten würden, da er diese Information von Kikki hatte. Er verstand auch nicht, wie es VG gelungen war, Ewald Knutsen aufzuspüren, der selbst behauptet hatte, er werde sich nicht von anderen Zeitungen interviewen lassen. Joakim wurde auch nicht klüger, als er weiterblätterte. »Quellen aus Polizeikreisen bestätigen heute gegenüber Nyhetsavisen, dass
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