Grabesgrün
Gläsern Bier ein bedenkliches Manöver veranstaltete, und zeigte hinter ihrem Rücken Cassie und Sam den Mittelfinger.
Durch das Gedränge wurden wir immer näher zusammengeschoben. Wir hatten das Thema Studium und Forschung abgehakt – ich wünschte, ich hätte mehr über Bram Stoker gewusst –, sprachen über die Aran Islands (Anna und eine Clique von Freunden, im letzten Sommer; die Schönheiten der Natur; wie herrlich es war, dem Leben in der Stadt mit all seinen Oberflächlichkeiten zu entrinnen), und sie hatte angefangen, mein Handgelenk zu berühren, um ihre Argumente zu unterstreichen, als einer ihrer Freunde sich aus der grölenden Gruppe löste und sich hinter sie stellte.
»Alles in Ordnung, Anna?«, fragte er in einem Ton, der nichts Gutes ahnen ließ, legte ihr einen Arm um die Taille und starrte mich herausfordernd an.
Anna verdrehte neben ihm mit einem kleinen verschwörerischen Lächeln die Augen. »Alles in Ordnung, Cillian«, sagte sie. Ich glaubte nicht, dass er ihr Freund war – sie hatte sich jedenfalls nicht so verhalten, als wäre sie in festen Händen –, aber wenn nicht, dann hatte er offensichtlich die Absicht, es zu werden. Er war groß und kräftig, in seiner Massigkeit gut aussehend, und er hatte offensichtlich schon einiges getrunken und suchte nach einem Vorwand, sich mit mir anzulegen.
Einen Moment lang reizte mich sogar der Gedanke. Du hast gehört, was Anna gesagt hat, Mann, geh zurück zu deinen kleinen Kumpeln ... Ich sah zu Sam und Cassie hinüber: Sie hatten mich vergessen und unterhielten sich angeregt, die Köpfe dicht zusammen, damit sie einander bei dem Lärm verstehen konnten, und Sam veranschaulichte etwas mit einem Finger auf dem Tisch. Auf einmal war ich mich selbst und mein Dozenten-Alter-Ego gehörig satt, und damit auch Anna und ihr Spielchen mit mir, wenn es denn eins war, und diesen Typen Cillian. »Ich glaub, ich muss mal wieder zurück zu meiner Freundin«, sagte ich, »entschuldige nochmal, dass ich vorhin deinen Drink verschüttet habe.« Damit wandte ich mich ab von dem verdatterten rosa O ihres Mundes und dem verwirrten, streitsüchtigen Funken, der in Cillians Augen aufloderte.
Ich schlang kurz meinen Arm um Cassies Schultern, als ich mich setzte, und sie blickte mich argwöhnisch an. »Abgeblitzt?«, fragte Sam.
»Nee«, sagte Cassie. »Ich wette, er hat es sich anders überlegt und ihr erzählt, er hätte eine Freundin. Was meinst du, warum er so mit mir auf Tuchfühlung geht? Wenn du das nächste Mal so eine Nummer abziehst, Ryan, knutsch ich mit Sam rum, damit dich die Kumpel der Frau, der du den Kopf verdreht hast, ordentlich vermöbeln.«
»Klasse«, sagte Sam glücklich. »Das Spiel gefällt mir.«
Als der Pub zumachte, ging ich mit zu Cassie. Sam war nach Hause gefahren, es war Freitag, und wir mussten am nächsten Morgen nicht früh aufstehen. Daher ergab es sich irgendwie von selbst, dass wir bei ihr noch etwas tranken und hin und wieder die CD wechselten und das Feuer auf ein flüsterndes Glimmen herunterbrennen ließen.
»Weißt du«, sagte Cassie träge, während sie ein Stück Eis aus ihrem Glas fischte, um darauf zu kauen, »wir vergessen die ganze Zeit, dass Kinder anders denken.«
»Worauf willst du hinaus?« Wir hatten über Shakespeare gesprochen, über die Elfen im Sommernachtstraum , und ich war in Gedanken noch bei dem Thema. Ich rechnete fast damit, sie würde mit irgendeiner nächtlichen Analogie aufwarten zwischen der Denkweise von Kindern und den Menschen im sechzehnten Jahrhundert, und ich überlegte mir schon ein Gegenargument.
»Wir fragen uns, wie er sie zum Tatort gelockt hat – nein, lass das, und hör zu.« Ich trat gegen ihr Bein und wimmerte: »Sei still, ich hab Feierabend, ich kann dich nicht hören, la la la ...« Ich war benommen vom Wodka und weil es so spät war, und ich hatte diesen frustrierenden, verwickelten, unlösbaren Fall einfach über. Ich wollte noch ein bisschen über Shakespeare sprechen oder vielleicht Karten spielen. »Als ich elf war, hat ein Typ versucht, mich zu missbrauchen«, sagte Cassie.
Ich hörte auf zu treten und hob den Kopf, um sie anzusehen. »Was?«, sagte ich, ein wenig zu vorsichtig. Das, dachte ich, das war also Cassies geheimer verschlossener Raum, und sie gewährte mir endlich Einlass.
Sie blickte mich amüsiert an. »Nein, er hat mich nicht angefasst. Es war nicht so schlimm.«
»Oh«, sagte ich und kam mir blöd vor und war seltsamerweise ein bisschen verstimmt.
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