Grabesgrün
aufwachte. »Krawatte«, sagte ich zu Sam. Der Knoten rutschte ihm immer Richtung Ohr, wenn er sich konzentrierte.
Cassie nahm noch einen raschen Schluck Kaffee und atmete einmal kräftig durch. »Okay«, sagte sie. »Gehen wir.« Die Fahnder machten weiter mit dem, was sie unterbrochen hatten, aber ich konnte spüren, wie ihre Augen uns folgten, zum Zimmer hinaus und den Korridor hinunter.
»Also«, sagte O'Kelly, kaum dass wir in seinem Büro waren. Er saß hinter dem Schreibtisch und fummelte mit irgendeinem scheußlichen Chefspielzeug aus Chrom herum, das noch aus den Achtzigerjahren stammte. »Wie läuft’s mit unserer SOKO Dingsda?«
Niemand von uns setzte sich. Wir gaben ihm eine ausführliche Zusammenfassung unserer bisherigen Ermittlungen und erklärten, warum wir Katys Mörder noch nicht gefasst hatten. Wir redeten zu schnell und zu lange, wiederholten uns, ergingen uns in Details, die er bereits kannte: Wir spürten förmlich, was uns blühte, und keiner von uns wollte es hören.
»Hört sich an, als hätten Sie an alles gedacht, gut«, sagte O'Kelly, als wir endlich fertig waren. Er spielte noch immer mit dem schrecklichen kleinen Spielzeug, klick klick klick ... »Gibt es einen Hauptverdächtigen?«
»Wir tendieren zu den Eltern«, sagte ich. »Einer von beiden.«
»Wir haben also nichts Handfestes gegen Mutter oder Vater.«
»Wir ermitteln noch, Sir«, sagte Cassie.
»Und ich habe vier Männer, die für die Drohanrufe in Frage kämen«, sagte Sam.
O'Kelly blickte auf. »Ich hab Ihren Bericht gelesen. Gehen Sie behutsam vor.«
»Jawohl, Sir.«
»Großartig«, sagte O'Kelly. Er legte das Chromding hin. »Bleiben Sie am Ball. Aber dafür brauchen Sie keine fünfunddreißig Sonderfahnder.«
Ich hatte damit gerechnet, aber es traf mich trotzdem. Die Fahnder hatten mich ständig nervös gemacht, zugegeben, aber wenn wir sie verloren, war das ein unwiderruflicher erster Schritt in Richtung Aufgabe. Das bedeutete, noch ein paar Wochen, und O'Kelly würde uns wieder normalen Dienst schieben lassen, mit neuen Fällen, und die Ermittlung im Fall Katy Devlin würde nebenherlaufen. Ein paar Monate weiter, und Katy würde in den Keller verbannt und im Archiv verstauben und alle ein, zwei Jahre hervorgeholt werden, falls wir eine neue Spur hatten. Das Fernsehen würde eine kitschige Dokumentation über sie bringen, mit hauchiger Sprecherstimme und gespenstischer Musikuntermalung, um klarzumachen, dass der Fall noch ungelöst ist. Ich fragte mich, ob sich Kiernan und McCabe in diesem Raum die gleichen Worte hatten anhören müssen wie wir, vermutlich aus dem Munde von jemandem, der mit dem gleichen bescheuerten Spielzeug spielte.
O'Kelly spürte den Widerstand in unserem Schweigen. »Was«, sagte er.
Wir legten uns mächtig ins Zeug, ließen unsere vorbereiteten Reden ernst und eloquent vom Stapel, doch noch während ich sprach, wusste ich, dass es vergeblich war. Ich möchte mich lieber nicht daran erinnern, was ich alles sagte, aber sicherlich war es am Schluss nur noch Geplapper: »Sir, wir haben von Anfang an gewusst, dass der Fall kein Zuckerschlecken werden würde«, sagte ich am Ende. »Aber wir kommen weiter, peu à peu. Ich glaube wirklich, es wäre ein Fehler, die Ermittlungen jetzt einzustellen.«
»Einstellen?«, fragte O'Kelly empört. »Wer redet denn hier von einstellen? Wir stellen gar nichts ein. Wir specken nur etwas ab, mehr nicht.«
Niemand erwiderte etwas. Er beugte sich vor und legte die Hände auf den Tisch, Fingerspitzen aneinander. »Leute«, sagte er, sanfter, »es handelt sich hier um eine einfache Kosten-Nutzen-Analyse. Ihr habt aus den Fahndern rausgeholt, was rauszuholen war. Wie viele Zeugen müssen noch vernommen werden?«
Schweigen.
»Und wie viele Anrufe hat die Hotline heute bekommen?«
»Fünf«, sagte Cassie nach kurzem Zögern. »Bisher.«
»Irgendwas Vielversprechendes dabei?«
»Vermutlich nicht.«
»Na bitte.« O'Kelly breitete die Hände aus. »Ryan, Sie haben selbst gesagt, der Fall ist kein Zuckerschlecken. Genau meine Rede: Es gibt schnelle Fälle und langsame Fälle, und der hier braucht Zeit. In der Zwischenzeit haben wir aber drei neue Morde an der Backe, im Norden der Stadt ist ein ausgemachter Drogenkrieg im Gange, und andauernd ruft jemand an, der wissen will, wozu ich sämtliche Sonderfahnder brauche, die Dublin hat. Verstehen Sie, was ich sagen will?«
Ich verstand es, nur allzu gut. Was immer ich auch an O'Kelly zu mäkeln habe, eins muss ich
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