Grabesgrün
vielleicht noch zu sehen, wenn die Schule wieder anfing. Es muss also irgendwann im August gewesen sein.«
»Hat sie uns gesehen?«, fragte ich mit bemüht ruhiger Stimme. Dass sich diese Geschichte ab einem gewissen Punkt mit meiner überschnitt, war beängstigend, aber auch ungeheuer spannend.
Cassie blickte mich an. Ihr Gesicht verriet nichts, aber ich wusste, dass sie sehen wollte, ob ich mit all dem klarkam. Ich gab mich gelassen. »Nicht richtig. Sie war ... na ja, du weißt ja, in welcher Verfassung sie war. Aber sie erinnert sich, was im Unterholz gehört zu haben, und dann haben die Jungs rumgebrüllt. Jonathan ist hinter euch hergerannt, und als er zurückkam, hat er so was gesagt wie: ›Scheißkids.‹«
Sie schnippte Asche zum Fenster hinaus. Ich konnte an ihrer Schulterhaltung ablesen, dass sie noch nicht fertig war. Auf dem Ausgrabungsgelände auf der anderen Straßenseite hantierten Mark und Mel und zwei von den anderen mit Stangen und gelben Maßbändern, riefen sich gegenseitig etwas zu. Mel lachte herzhaft und rief: »Träum weiter!«
»Und?«, sagte ich, als ich es nicht länger aushielt. Ich zitterte wie ein Vorstehhund, der Witterung aufgenommen hat. Wie ich schon sagte, ich schlage keine Verdächtigen, aber mir schossen Bilder durch den Kopf, wie ich Devlin gegen die Wand knallte, ihm ins Gesicht schrie und die Antworten aus ihm rausprügelte.
»Weißt du was?«, sagte Cassie. »Sie hat danach nicht mal mit Cathal Mills Schluss gemacht. Sie ist noch ein paar Monate länger mit ihm gegangen. Bis er sie abserviert hat.«
Ich hätte fast gesagt: Na und? »Ich glaube, die Verjährungsfrist ist länger, wenn das Opfer minderjährig war«, sagte ich stattdessen. Mein Verstand lief auf Hochtouren und spielte zig Verhörstrategien durch. »Könnte sein, dass es noch nicht zu spät ist. Dieser Mills ist genau die Sorte, die ich furchtbar gern mal mitten in einer Vorstandssitzung verhaften würde.«
Cassie schüttelte den Kopf. »Sie denkt nicht dran, ihn anzuzeigen. Sie glaubt, sie war im Grunde selbst schuld, weil sie überhaupt mit ihm geschlafen hat.«
»Komm, wir reden mit Devlin«, sagte ich und ließ den Motor an.
»Da ist noch was«, sagte Cassie. »Es hat vielleicht nichts zu bedeuten, aber ... Als sie fertig waren, hat Cathal – ehrlich, ich finde, wir sollten ihm trotzdem auf den Zahn fühlen, irgendwas können wir ihm bestimmt anhängen. Also er hat gesagt: ›Braves Mädchen‹, und ihr einen Kuss gegeben. Sie saß zitternd da und hat versucht, ihre Kleidung zu ordnen und einen klaren Kopf zu bekommen. Und da haben sie irgendwas zwischen den Bäumen gehört, nur wenige Schritte entfernt. Ein Geräusch, ein Rufen. Cathal hat etwas gesagt wie: ›Das sind wieder die verdammten Kinder‹, und hat einen Stein zwischen die Bäume geworfen, aber es hörte nicht auf. Es war irgendwo im dunklen Schatten, sie konnten nichts erkennen. Sie haben Angst bekommen und sind schleunigst nach Hause.«
»Red keinen Quatsch«, sagte ich.
»Dann wart ihr drei das also nicht.«
»Nicht, dass ich wüsste«, sagte ich. Ich erinnerte mich, wie wir Reißaus genommen hatten, mein keuchender Atem laut in den Ohren. Wir begriffen nicht, was genau da passiert war, aber wir wussten, dass es irgendwas Schreckliches war. Ich erinnerte mich, wie wir drei einander anstarrten, außer Atem, am Waldrand. »Das hat sie sich vielleicht nur eingebildet.«
Cassie zuckte die Achseln. »Klar, könnte sein.« Ich ließ den Wagen wieder an. »Moment noch. Wie gehen wir jetzt vor?«
»Ich bleib jedenfalls diesmal nicht im Auto sitzen«, sagte ich und hörte, wie sich meine Stimme gefährlich hob.
Sie zog die Stirn kraus. »Ich hab eigentlich gedacht, ich setz dich ab und unterhalte mich nochmal mit den Cousinen oder so, und du schickst mir eine SMS, wenn ich dich abholen soll. Du kannst dich mit Devlin schön von Mann zu Mann unterhalten. Der redet bestimmt nicht über eine Vergewaltigung, wenn ich dabei bin.«
»Ach so«, sagte ich leicht verlegen. »Okay. Danke, Cass. Das klingt gut.«
Sie stieg aus dem Wagen, und ich rutschte rüber auf den Beifahrersitz, weil ich dachte, sie wollte fahren. Aber sie ging zu den Bäumen und suchte im Unterholz herum, bis sie mein Feuerzeug fand. »Da«, sagte sie, als sie wieder einstieg, und lächelte mich schief an. »Jetzt will ich aber auch mein Weihnachtsgeschenk.«
13
ALS WIR VOR DEVLINS HAUS HIELTEN, sagte Cassie: »Rob, vielleicht hast du ja selbst schon dran gedacht, aber
Weitere Kostenlose Bücher