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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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Rauschen in den Ohren.
    »Wer hat die Kamera?«, fragte Cassie. »Wir müssen das fotografieren, ehe wir es eintüten.«
    »Sophies Leute«, sagte ich. »Die sollen hier auch alles gründlich unter die Lupe nehmen.«
    »Und seht mal da«, sagte Sam. Er hatte die Taschenlampe auf die rechte Seite des Schuppens gerichtet und leuchtete auf eine große Plastiktüte voll mit Handschuhen, diese grünen Gartenhandschuhe aus Gummi mit Stoffrücken. »Wenn ich Handschuhe bräuchte, würde ich mir ein Paar rausnehmen und anschließend wieder reinwerfen.«
    »Detectives!«, rief Sophie irgendwo draußen. Ich fuhr zusammen.
    Cassie sprang auf, warf dann aber einen Blick nach hinten auf die Kelle. »Vielleicht sollte jemand –«
    »Ich bleib hier«, sagte Sam. »Geht ihr zwei ruhig.«
    Sophie wartete auf den Stufen zum Fundschuppen, ein Schwarzlicht in der Hand. »Recht gehabt«, sagte sie, »eindeutig euer Tatort. Er hat noch versucht, sauber zu machen, aber ... Schaut selbst.«
    Die beiden Nachwuchstechniker hockten in einer Ecke, der Mann hielt zwei große schwarze Sprühflaschen in den Händen, Helen eine Videokamera. Ihre Augen über der Gesichtsmaske waren groß und verblüfft. Der Fundschuppen war zu klein für fünf Personen, und durch die finstere, klinische Atmosphäre, die die Kriminaltechniker erzeugten, wirkte der Raum wie eine provisorische Guerilla-Folterkammer: mit Papier abgedeckte Fenster, nackte Glühbirne an der Decke, maskierte und behandschuhte Gestalten, die auf ihren Einsatz warteten. »Bleibt am Schreibtisch stehen«, sagte Sophie, »weit genug entfernt von den Regalen.« Sie knallte die Tür zu – alle zuckten zusammen – und presste das Klebeband wieder in die Ritzen.
    Luminol reagiert schon bei kleinsten Mengen Blut, bringt es unter ultraviolettem Licht zum Leuchten. Man kann eine blutbespritzte Wand übermalen, einen Teppich sauber scheuern, bis er aussieht wie neu, doch Luminol bringt das Verbrechen gnadenlos wieder ans Tageslicht. Wenn Kiernan und McCabe Luminol gehabt hätten, dachte ich, hätten sie den ganzen Wald aus der Luft einsprühen lassen können, und ich musste mich beherrschen, nicht hysterisch loszulachen. Cassie und ich drückten uns gegen den Schreibtisch, ein paar Zentimeter voneinander getrennt. Sophie ließ sich von ihrem jungen Assistenten eine Sprühflasche geben, knipste das Schwarzlicht an und schaltete die Glühbirne an der Decke aus. In der plötzlichen Dunkelheit konnte ich uns alle atmen hören, fünf Lungen, die sich die staubige Luft streitig machten.
    Eine Sprühflasche zischte, das rote Lämpchen der Videokamera kam näher. Sophie ging in die Hocke und hielt das Schwarzlicht dicht an die Tür, nicht weit von den Regalen. »Da«, sagte sie.
    Ich hörte, wie Cassie scharf die Luft einsog. Auf dem Fußboden leuchteten verrückte Muster bläulich weiß auf, wie bei einem abstrakten Bild: Bögen, wo das Blut nach außen gespritzt war, fleckige Kreise, wo es sich gesammelt hatte und getrocknet war, breite Wisch- und Scheuerspuren, wo jemand in verzweifelter Hektik versucht hatte, sauber zu machen. Es glühte wie radioaktive Strahlung in den Ritzen zwischen den Dielen, hob sich reliefartig von der Maserung des Holzes ab. Sophie bewegte das Schwarzlicht nach oben und sprühte erneut: winzige Tröpfchen fächerförmig auf dem unteren Metallregal, ein verschmierter Fleck wie ein wild greifender Handabdruck. Die Dunkelheit ließ den Fundschuppen, das Chaos aus Papieren und die Tüten mit Tonscherben verschwinden, und wir schwebten nur noch in einem schwarzen Raum mit dem Mord, der sich leuchtend, kreischend, wieder und wieder vor unseren Augen abspielte.
    Ich sagte: »Großer Gott.« Katy Devlin war hier auf dem Boden gestorben. Wir hatten in diesem Schuppen gesessen und den Mörder befragt, genau am Tatort.
    Tief in meinem Innern hatte ich nicht mehr daran geglaubt, diesen Augenblick je zu erleben. Ich hatte in den letzten Wochen ziemlich oft an Kiernan mit seinem behaglichen Ruhestand am Meer und seinen Albträumen gedacht. Fast keinem Detective ist es vergönnt, im Laufe seiner Karriere nicht mindestens einen Fall dieser Art bearbeiten zu müssen, und ich hatte von Anfang an das ungute Gefühl, dass der Fall Katy Devlin – den ich mir nie im Leben ausgesucht hätte – meiner sein würde. Es bedurfte einer seltsamen, fast schmerzhaften Blickkorrektur, um zu erkennen, dass unser Mann kein gesichtsloser Archetyp mehr war, entstanden aus einem kollektiven Albtraum, um eine

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