Grabesgrün
Pause zu Ende.«
»Und dann ...«
Er schluckte, trank etwas Tee aus seiner Tasse. Cassie beugte sich aufmunternd vor und wartete.
»Wir, ähm ... Auf dem Stein lag was. Ich dachte, es wär eine Jacke oder so. Die einer da vergessen hätte. Ich habe gesagt, äh, ich hab gesagt: ›Was ist das?‹, und wir sind näher ran und ...« Er blickte nach unten auf seine Tasse. Seine Hände zitterten wieder. »Es war ein Mädchen. Ich dachte, sie wäre vielleicht, na ja, bewusstlos oder so, deshalb hab ich sie geschüttelt, am Arm, und der fühlte sich ... komisch an. Kalt und steif. Ich hab mich vorgebeugt und gelauscht, ob sie atmet, aber nichts. Sie hatte Blut im Gesicht, ich hab Blut gesehen. Und da wusste ich, dass sie tot war.« Er schluckte erneut.
»Sie machen das sehr gut«, sagte Cassie sanft. »Was haben Sie dann getan?«
»Mel hat gesagt: ›Großer Gott‹, oder so was in der Art, und wir sind zurückgerannt und haben Dr. Hunt Bescheid gesagt. Der hat uns dann alle in die Kantine geschickt.«
»Okay, Damien, überlegen Sie jetzt bitte ganz genau«, sagte Cassie. »Haben Sie heute oder in den letzten Tagen irgendwas gesehen, was Ihnen merkwürdig vorkam? Irgendwen, den Sie nicht kannten, irgendwas, das anders war als sonst?«
Er starrte ins Leere, den Mund leicht geöffnet, trank noch einen Schluck Tee. »Na ja, da war was, aber so was meinen Sie wahrscheinlich nicht ...«
»Alles könnte uns weiterhelfen«, erklärte Cassie. »Selbst die kleinste Kleinigkeit.«
»Okay«, Damien nickte eifrig. »Okay, am Montag hab ich draußen am Tor auf den Bus gewartet, um nach Hause zu fahren. Und da hab ich diesen Typen gesehen, der die Straße runterkam und in die Siedlung ging. Ich weiß nicht mal, warum er mir überhaupt aufgefallen ist, ich hab nur ... Er hat sich irgendwie so komisch umgesehen, ehe er in die Siedlung ging, als wollte er sich vergewissern, dass ihn keiner beobachtet.«
»Um welche Uhrzeit war das?«, fragte Cassie.
»Um halb sechs ist hier Schluss, also etwa zwanzig vor sechs? Das war ja auch noch seltsam. Ich meine, außer dem Laden und dem Pub gibt’s hier nix, wo man ohne Auto hinkann, und der Laden schließt um fünf. Deshalb hab ich mich gefragt, wo der Typ hergekommen ist.«
»Wie sah er aus?«
»Ziemlich groß, bestimmt einsachtzig. Um die dreißig, schätz ich. Kräftig. Ich glaube, er hatte eine Glatze. Und er trug einen dunkelblauen Trainingsanzug.«
»Könnten Sie sein Gesicht beschreiben für eine Phantomzeichnung?«
Damien blinzelte und blickte verstört. »Äh ... so gut hab ich ihn nicht gesehen. Ich meine, er kam die Straße runter, auf der anderen Seite vom Eingang zur Siedlung. Und ich hab nicht so genau hingeguckt – ich glaub nicht, dass ...«
»Kein Problem«, sagte Cassie. »Machen Sie sich keine Gedanken, Damien. Falls Ihnen noch irgendwas einfällt, melden Sie sich, ja? Bis dahin, alles Gute.«
Wir notierten uns Damiens Adresse und Telefonnummer, gaben ihm eine von unseren Visitenkarten (ich hätte ihm auch gern einen Lutscher geschenkt, weil er so ein braver Junge gewesen war, aber für so was hat das Dezernat kein Geld) und entließen ihn mit der Bitte, Melanie Jackson zu uns zu schicken.
»Netter Bursche«, sagte ich neutral, abwartend.
»Oh ja«, sagte Cassie trocken. »Wenn ich mal ein Schoßhündchen haben will, werde ich an ihn denken.«
Mel war wesentlich nützlicher als Damien. Sie war Schottin, groß und mager, hatte muskulöse braune Arme und einen rotblonden unordentlichen Pferdeschwanz, und sie setzte sich wie ein Junge, breitbeinig, beide Füße fest auf der Erde.
»Vielleicht wissen Sie es schon, aber die Kleine ist aus der Siedlung«, begann sie ohne Umschweife. »Oder jedenfalls hier aus der Gegend.«
»Woher wissen Sie das?«, fragte ich.
»Die Kinder aus der Umgebung kommen manchmal aufs Gelände. Hier gibt’s im Sommer sonst wenig Ablenkung für sie. Die meisten wollen wissen, ob wir vergrabene Schätze gefunden haben oder Skelette. Ich hab sie ein paarmal hier gesehen.«
»Wann zuletzt?«
»Vor zwei, drei Wochen.«
»War noch jemand bei ihr?«
Mel zuckte die Achseln. »Ich kann mich an niemand Bestimmtes erinnern. Es waren einfach nur ein paar Kinder da, glaube ich.«
Mel gefiel mir. Sie war erschüttert, wollte es sich aber nicht anmerken lassen. Sie spielte mit einem Gummiband, spannte es immer wieder zwischen schwieligen Fingern. Sie erzählte dieselbe Geschichte wie Damien, brauchte aber längst nicht so viel Aufmunterung
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