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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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durch sind?«
    »Sehr umsichtig von dir«, sagte ich.
    Cassie stieß mich mit dem Fuß an. »Sieh nach, ob noch Whiskey da ist oder so.« Ich schob ihren Fuß beiseite und stand auf. »Okay«, sagte sie, »wir alle müssen an irgendwas glauben, nicht wahr?«
    »Wieso?«, entgegnete ich. Ich fand diese Behauptung sowohl faszinierend als auch leicht beunruhigend. Ich bin nicht religiös, und so weit ich wusste, Cassie auch nicht.
    »Weil das so ist. Zu allen Zeiten hat absolut jede Gesellschaft der Welt irgendeine Form von Glaubenssystem gehabt. Aber heute ... Wie viele Leute kennt ihr, die gläubige Christen sind? Ich meine, die nicht einfach bloß in die Kirche gehen, sondern wirklich gläubig sind und versuchen, so zu leben, wie Jesus das gewollt hätte? Und an politische Ideologien können Menschen nicht glauben. Unsere Regierung hat ja offenbar nicht mal eine Ideologie.«
    »Bestechlichkeit ist immerhin eine Art Ideologie«, rief ich über die Schulter.
    »He«, sagte Sam nicht unfreundlich.
    »Tschuldigung«, sagte ich. »Ich hab niemand Bestimmtes gemeint.« Er nickte.
    »Ich auch nicht, Sam«, sagte Cassie. »Ich meine nur, es gibt keine alles umfassende Philosophie mehr. Und deshalb müssen sich die Leute ihren eigenen Glauben backen.«
    Ich trug Whiskey, Cola, Eis und drei Gläser zurück zum Couchtisch, alles auf einmal. »Meinst du Religion light ? Die New-Age-Yuppies, die Tantra-Sex haben und ihren Geländewagen Feng-Shui-mäßig ausstaffieren?«
    »Die auch, aber ich dachte eher an Leute, die aus etwas gänzlich anderem eine Religion machen. Aus Geld zum Beispiel – bei unseren Politikern kommt das einer Religion am nächsten, und damit meine ich keine Bestechungsgelder, Sam. Heutzutage ist es nicht bloß Pech, wenn man einen schlecht bezahlten Job hat. Es ist regelrecht verantwortungslos . Weil du kein nützliches Mitglied der Gesellschaft bist, und es ist sehr, sehr böse von dir, keine Villa und kein schickes Auto zu haben.«
    »Aber wenn einer um eine Gehaltserhöhung bittet«, sagte ich und schlug die Eiswürfel aus dem Behälter, »ist das auch sehr, sehr böse von ihm, weil er die Gewinnspanne seines Arbeitgebers gefährdet, wo der doch so viel für die wirtschaftliche Entwicklung tut.«
    »Genau. Wenn du nicht reich bist, bist du weniger wert und solltest nicht so dreist sein, von den ehrbaren reichen Menschen einen anständigen Lohn zu verlangen.«
    »Na, na«, sagte Sam. »Ganz so schlimm ist es nun auch wieder nicht.«
    Kurzes, höfliches Schweigen trat ein. Ich sammelte die versprengten Eiswürfel vom Tisch auf. Sam hat von Natur aus ein sonniges Gemüt, aber er stammt eben auch aus einer Familie, die Häuser in Ballsbridge besitzt. Seine Ansichten konnten gar nicht objektiv sein.
    »Eine weitere große Religion unserer Zeit«, sagte Cassie, »ist der Körperkult. Die vielen Werbespots, die die Leute für dumm verkaufen, und die Berichte über Rauchen und Trinken und Fitness –«
    Ich füllte die Gläser und sah Sam fragend an, wann ich aufhören sollte. Er hob eine Hand und lächelte mir zu, als ich ihm sein Glas reichte. »Da würde ich am liebsten gleich ausprobieren, wie viele Zigaretten ich auf einmal in den Mund kriege«, sagte ich. Cassie hatte die Beine ausgestreckt; ich hob sie an, damit ich mich wieder setzen konnte, legte sie mir dann quer über den Schoß und fing an, ihren Drink zu mixen, viel Eis und viel Cola.
    »Geht mir auch so. Aber diese Berichte und Meldungen sagen ja nicht nur, dass gewisse Dinge ungesund sind, sie behaupten, sie seien moralisch falsch. Als wärst du spirituell ein besserer Mensch, wenn du den richtigen Body-Mass-Index hast und täglich eine Stunde Sport treibst – und dann gibt es diese schrecklichen Werbespots, in denen Rauchen nicht einfach nur eine schädliche Angewohnheit ist, sondern das Böse schlechthin. Menschen brauchen einen Verhaltenskodex, um Entscheidungen zu treffen. Und dieses ganze tugendhafte Biojoghurtgetue und die finanzielle Selbstgerechtigkeit bedienen dieses Bedürfnis. Das Problem ist nur, es ist alles auf den Kopf gestellt. Man tut nicht mehr das Richtige und hofft, dass es sich lohnt. Nein, das moralisch Richtige ist jetzt per definitionem das, was den höchsten Gewinn abwirft.«
    »Trink mal einen Schluck«, sagte ich. Sie war in Fahrt und gestikulierte, hatte sich vorgebeugt und das Glas in ihrer Hand vergessen. »Und was hat das alles mit unserem irren Mark zu tun?«
    Cassie streckte mir die Zunge raus und nippte an ihrem

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