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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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einem Autounfall gestorben, als sie fünf war, und sie war bei einer Tante und einem Onkel aufgewachsen, einem liebenswerten, älteren Ehepaar, das in einem baufälligen viktorianischen Haus in Wicklow lebte, also in der tiefsten Provinz. Sie sagt, sie hat bei den beiden viel gelesen, überwiegend nicht gerade kindgerechte Bücher aus deren Bibliothek – Der goldene Zweig , Ovids Metamorphosen , Madame Bovary , das sie zu Ende las, obwohl sie es doof fand –, auf einer breiten Fensterbank kauernd, während sie Äpfel aus dem Garten aß und draußen sanfter Regen fiel. Einmal, so erzählt sie, kroch sie unter einen alten hässlichen Schrank und fand eine Porzellanuntertasse, einen George-VI.-Penny und zwei Briefe von einem Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg; mit dem Namen des Mannes konnte keiner etwas anfangen, und in den Briefen waren Passagen von der Zensur geschwärzt worden. Ich erinnere mich nicht an viel aus der Zeit vor meinem zwölften Lebensjahr, und danach sind meine Erinnerungen hauptsächlich in Reihen geordnet – Reihen von grauweißen Schlafsaalbetten, Reihen von hallenden, nach Desinfektionsmittel riechenden Duschen, Reihen von Jungs in altertümlichen Uniformen, die protestantische Kirchenlieder über Pflichterfüllung und Rechtschaffenheit herunterleierten. Für uns beide war Sams Kindheit wie aus einem Bilderbuch. Wir stellten uns pausbäckige Kinder vor, um die ein glücklich hechelnder Schäferhund tollte. »Erzähl uns von damals, als du klein warst«, sagte Cassie manchmal, machte es sich auf ihrem Futon bequem und zog die Pulloverärmel über die Hände, mit denen sie ihren heißen Whiskey hielt.
    Trotzdem war Sam bei diesen Gesprächen in vielerlei Hinsicht das fünfte Rad am Wagen, und ein Teil von mir war froh darüber. Cassie und ich hatten über zwei Jahre eine innige Vertrautheit aufgebaut, wir hatten unseren Rhythmus, unsere subtilen geheimen Codes und Zeichen. Sam hingegen war da, weil wir ihn zuließen, und so schien es nur fair, dass er eine Statistenrolle spielte, präsent, aber nie zu präsent. Ihn störte das anscheinend kein bisschen. Er streckte sich auf dem Sofa aus, neigte sein Whiskeyglas so, dass das Kaminfeuer glühende Lichtflecken auf seinen Pullover warf, und sah lächelnd zu, während Cassie und ich uns über das Wesen der Zeit stritten oder über T. S. Eliot oder wissenschaftliche Erklärungsversuche für Geistererscheinungen. Pubertäre Gespräche, keine Frage, und das umso mehr, als Cassie und ich gegenseitig immer das freche Kind in uns weckten, aber ich hatte solche Situationen in der Pubertät nie erlebt, und ich genoss sie jetzt, genoss jeden einzelnen Augenblick.

    Natürlich verkläre ich die Dinge, das ist ein chronischer Hang von mir. Lassen Sie sich nichts vormachen: Die Abende waren vielleicht gemütliche Plaudereien am Kamin, aber die Tage waren eine düstere, angespannte, frustrierende Plackerei. Offiziell hatten wir von neun bis fünf Dienst, aber wir waren jeden Morgen vor acht Uhr da und gingen selten vor acht Uhr abends, und dann nahmen wir noch Arbeit mit – Fragebögen, die abgeglichen, Zeugenaussagen, die studiert, Berichte, die geschrieben werden mussten. Unsere Abendessen begannen erst um neun, zehn Uhr. Es wurde Mitternacht, ehe wir aufhörten, über den Fall zu reden, und zwei Uhr morgens, bis wir entspannt genug waren, um ins Bett zu gehen. Wir entwickelten eine intensive ungesunde Beziehung zu Koffein und vergaßen, wie es war, nicht übermüdet zu sein. Am ersten Freitagabend sagte ein ganz neuer Fahnder namens Corry: »Wir sehen uns Montag, Leute«, und erntete dafür hämisches Gelächter und Schulterklopfen sowie die humorlose Erwiderung von O’Kelly: »Nein, wie auch immer Sie heißen, wir sehen uns morgen früh um acht, und zwar pünktlich.«
    Rosalind Devlin hatte sich an dem ersten Freitag doch nicht bei mir blicken lassen. Gegen fünf Uhr rief ich vom Warten zermürbt und irgendwie auch besorgt, es könnte ihr etwas zugestoßen sein, ihr Handy an. Sie ging nicht ran. Sie war bei ihrer Familie, redete ich mir ein, sie half bei den Beerdigungsvorbereitungen oder kümmerte sich um Jessica oder weinte in ihrem Zimmer. Aber das ungute Gefühl blieb, klein und störend wie ein Steinchen im Schuh.
    Am Sonntag gingen wir zu Katys Beerdigung, Cassie und Sam und ich. Dass es Mörder unwiderstehlich zum Grab ihres Opfers zieht, ist größtenteils Quatsch, aber dennoch, die geringe Möglichkeit bestand immerhin, und außerdem hatte

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