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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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Einlieferungsunterlagen an. Die Hälfte der Zeit ist Katy nicht mal von Margaret ins Krankenhaus gebracht worden. Da stehen Jonathan, Rosalind, Vera, einmal eine Lehrerin ... Für eine Mutter mit Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom geht es ja gerade um die Aufmerksamkeit und das Mitgefühl der Ärzte und Krankenschwestern. Sie würde nicht zulassen, dass jemand anderes so im Mittelpunkt steht.«
    »Dann können wir Margaret ausschließen?«
    Cassie seufzte. »Sie passt nicht ins Profil, aber das ist nicht definitiv. Sie könnte die Ausnahme sein. Ich wünschte, ich könnte mir die Patientenakten der anderen Mädchen ansehen. Solche Mütter konzentrierten sich meistens nicht bloß auf ein Kind und lassen die anderen in Ruhe. Sie wechseln von Kind zu Kind, um keinen Verdacht zu erregen, oder sie fangen mit dem ältesten an und gehen dann zum nächsten über, wenn das erste alt genug ist, um sich zu wehren. Wenn es Margaret war, dann müsste in den Akten der beiden anderen auch irgendwas Seltsames zu finden sein – zum Beispiel, dass Jessica im Frühjahr, als Katy nicht mehr krank wurde, irgendwelche Symptome hatte ... Wir fragen die Eltern, ob wir einen Blick reinwerfen dürfen.«
    »Nein«, sagte ich. Alle Fahnder um uns herum schienen auf einmal zu reden, und der Lärm war wie ein dicker Nebel, der mein Gehirn überzog. Ich konnte mich nicht konzentrieren. »Bis jetzt wissen die Devlins nichts von unserem Verdacht. Ich würde es gerne dabei belassen, bis wir irgendwas Handfestes haben. Wenn wir sie fragen, ob wir Rosalinds und Jessicas Patientenakten einsehen dürfen, sind sie gewarnt.«
    »Irgendwas Handfestes«, sagte Cassie. Sie sah auf den Tisch, wo sich Computerausdrucke und handschriftliche Notizen und Fotokopien stapelten, auf die Tafel, die mittlerweile komplett von einem bunten Gewirr aus Namen, Telefonnummern, Pfeilen, Fragezeichen und Unterstrichenem gefüllt war.
    »Ja«, sagte ich. »Ich weiß.«

    Auch die Schulakten der Devlin-Mädchen schienen uns in ihrer Uneindeutigkeit zu verspotten. Katy war intelligent, aber nicht herausragend, überwiegend Zweien und ein paar Dreien. Keine Verhaltensauffälligkeiten, außer dass sie im Unterricht mitunter abgelenkt war und eben sehr häufig gefehlt hatte. Rosalind war eine bessere Schülerin, aber auch sprunghafter: etliche Einsen hintereinander, dann wieder Dreien und Vieren sowie Kommentare von entnervten Lehrern über mangelnde Teilnahme und unentschuldigtes Fehlen. Jessicas Akte war wie erwartet die dickste. Sie hatte Förderunterricht bekommen, bis sie neun war, aber Jonathan hatte anscheinend Ärzte und Schule bedrängt, eine Reihe Tests mit ihr zu machen: Ihr IQ war durchschnittlich, zwischen 90 und 105, und es gab keine neurologischen Probleme: »Unspezifische Lernstörung mit autistischen Merkmalen«, stand in der Akte.
    »Was hältst du davon?«, fragte ich Cassie.
    »Diese Familie wird irgendwie immer merkwürdiger. Wenn ich mir das hier ansehe und sagen müsste, wer von den Töchtern am ehesten missbraucht wurde, würde ich auf Jessica tippen. Völlig normales Kind, bis sie ungefähr sieben ist. Und dann auf einmal geht’s schlagartig mit ihren schulischen Leistungen und sozialen Fähigkeiten bergab. Für Autismus ist das viel zu spät, aber es ist eine lehrbuchmäßige Reaktion auf Missbrauch. Und Rosalind – dieses unstete Auf und Ab könnten einfach normale Stimmungsschwankungen bei einem Teenager sein, aber es könnte sich auch um eine Reaktion darauf handeln, dass zu Hause irgendwas nicht mit rechten Dingen zuging. Die Einzige, bei der alles in Ordnung scheint, zumindest psychologisch gesehen, ist Katy.«
    Aus den Augenwinkeln sah ich etwas Dunkles näher kommen, und als ich herumfuhr, fiel mein Stift klappernd zu Boden. »Huch«, sagte Sam erschrocken. »Ich bin’s nur.«
    »Menschenskind«, sagte ich. Mein Herz raste. Auf der anderen Tischseite blickten Cassies Augen unergründlich. Ich hob meinen Stift auf. »Ich hab dich nicht kommen hören. Was hast du da?«
    »Die Telefonunterlagen der Devlins«, sagte Sam und schwenkte in jeder Hand einen Stapel Blätter. »Aus- und eingehende Telefonate.« Er legte die beiden Packen auf den Tisch und richtete sie akkurat aus. Er hatte die Nummern farblich markiert. Die Seiten waren gestreift von Textmarkerstrichen.
    »Für welchen Zeitraum?«, fragte Cassie. Sie beugte sich über den Tisch und starrte von oben auf die Unterlagen.
    »Ab März.«
    »Und das ist alles? Für sechs Monate?«
    Auch mir war

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