Grabesgrün
ich richtig liege. Und ich hab gleich gewusst, dass Sie das schaffen können.«
Sie sah mich mit ungetrübtem Vertrauen in den Augen an. Ich fühlte mich geschmeichelt, klar, aber gleichzeitig machte mich dieses Maß an Vertrauen beklommen. Sie war so verletzlich, und obwohl ich mich gegen den Gedanken wehrte, wusste ich, dass dieser Fall möglicherweise nie aufgeklärt werden würde, und ich wusste auch, was das für sie bedeuten würde.
»Rosalind«, sagte ich sanft. »Wir tun unser Bestes, und wir geben nicht auf. Aber du musst dich darauf gefasst machen, dass es sehr lange dauern könnte.«
Sie schüttelte den Kopf. »Sie finden ihn«, stellte sie schlicht fest.
Ich wechselte das Thema. »Wolltest du mit mir über etwas Bestimmtes reden?«
»Ja.« Sie holte tief Luft. »Was ist mit meiner Schwester passiert, Detective Ryan? Was genau?«
Ihre Augen waren groß und wachsam, und ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Würde sie zusammenbrechen, weinen, schreien, wenn ich es ihr erzählte? Der Garten war voller plaudernder Büroleute in der Mittagspause. »Eigentlich solltest du das besser von deinen Eltern erfahren«, sagte ich.
»Ich bin achtzehn. Sie brauchen keine Erlaubnis von ihnen, um mit mir zu sprechen.«
»Trotzdem.«
Rosalind biss sich auf die Unterlippe. »Ich hab sie gefragt. Er ... sie ... sie haben gesagt, ich soll still sein.«
Irgendetwas durchfuhr mich – Zorn, das Gellen von Alarmglocken, Mitgefühl, ich weiß es nicht. »Rosalind«, sagte ich behutsam, »ist bei dir zu Hause alles in Ordnung?«
Ihr Kopf schnellte hoch, der Mund formte ein kleines O. »Ja«, sagte sie mit leiser, unsicherer Stimme. »Natürlich.«
»Ganz sicher?«
»Sie sind sehr nett«, sagte sie zittrig. »Es ist ... alles in Ordnung.«
»Würde es dir vielleicht leichter fallen, mit meiner Kollegin zu sprechen?«
»Nein«, sagte sie heftig, mit einem missbilligenden Unterton. »Ich wollte mit Ihnen reden, weil ...« Sie ließ den Kaffeebecher im Schoß kreisen. »Weil ich dachte, die Sache berührt Sie, Detective Ryan. Das mit Katy. Ihre Kollegin hat so ungerührt gewirkt, aber Sie – Sie sind anders.«
»Es berührt uns beide«, sagte ich. Ich hätte ihr gern beruhigend den Arm um die Schultern gelegt oder etwas in der Art, aber ich kann so was nicht gut.
»Jaja, ich weiß. Aber Ihre Kollegin ...« Sie lächelte unsicher. »Ich hab ein bisschen Angst vor ihr. Sie ist so aggressiv.«
»Meine Kollegin?«, sagte ich verdattert. »Detective Maddox?« Eigentlich steht Cassie in dem Ruf, am besten mit den Angehörigen zurechtzukommen. Ich werde förmlich und schweigsam, aber sie findet anscheinend immer die richtigen Worte. Manche Familien schicken ihr noch heute zu Weihnachten tapfere kleine Dankeskarten.
Rosalinds Hände flatterten hilflos. »Ach, Detective Ryan, ich mein das nicht böse. Aggressiv sein hat ja auch was Gutes, vor allem in Ihrem Beruf, nicht? Und ich bin wahrscheinlich viel zu empfindlich. Es war einfach nur, wie sie mit meinen Eltern umgegangen ist. Ich weiß, sie muss all diese Fragen stellen, aber sie hat sie so kalt gestellt ... Jessica war wirklich ganz aufgewühlt. Und sie hat mich angelächelt, als wär das alles bloß ... Katys Tod war kein Scherz, Detective Ryan.«
»Nein, wahrhaftig nicht«, sagte ich. Im Geist ging ich noch einmal das schreckliche Gespräch im Wohnzimmer der Devlins durch und überlegte, womit Cassie dieses Kind so schockiert haben könnte. Mir fiel lediglich ein, dass sie Rosalind aufmunternd zugelächelt hatte, als sie sie zum Sofa führte. Im Nachhinein konnte ich mir vorstellen, dass das vielleicht ein bisschen deplatziert gewirkt hatte, aber das erklärte nicht die heftige Reaktion des Mädchens. Entsetzen und Trauer bringen Menschen oft dazu, unverhältnismäßig und unlogisch zu reagieren. Aber dennoch, diese extreme Empfindlichkeit verstärkte meinen Verdacht, dass irgendetwas bei den Devlins nicht stimmte. »Tut mir leid, wenn wir den Eindruck erweckt haben –«
»Nein, oh nein, Sie nicht, Sie waren wunderbar. Und Detective Maddox wollte bestimmt nicht so ... abweisend wirken. Ehrlich, das weiß ich. Die meisten Menschen, die so aggressiv auftreten, wollen einfach nur stark sein. Sie wollen nicht unsicher wirken oder bedürftig oder so was in der Art.«
»Ja«, sagte ich, »wahrscheinlich.« Ich konnte mir Cassie nur schwer bedürftig vorstellen, aber andererseits hatte ich sie auch nie als aggressiv empfunden. Mit einem leichten Stich wurde mir
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