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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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einmal angerufen, um sich nach dem Verlauf der Ermittlungen zu erkundigen. Nicht dass ich mich deswegen beklagte – manche Familien rufen vier- oder fünfmal am Tag an, und es gibt kaum etwas Quälenderes, als sie immer wieder enttäuschen zu müssen –, aber dennoch: Das war eine weitere irritierende Kleinigkeit in einem Fall, in dem sich dergleichen ohnehin schon häufte.
    Am Dienstag dann kam Rosalind endlich, in der Mittagszeit. Kein Anruf, keine vorherige Absprache, nur Bernadette, die mir mit leichtem Tadel in der Stimme mitteilte, eine junge Frau wolle mich sprechen. Aber ich wusste, dass sie es war, und die Tatsache, dass sie aus heiterem Himmel auftauchte, roch irgendwie nach Verzweiflung. Ich ließ alles stehen und liegen und ging nach unten, ohne auf die fragend hochgezogenen Augenbrauen von Cassie und Sam zu achten.
    Rosalind wartete am Empfang. Sie hatte ein smaragdgrünes Schultertuch fest um sich geschlungen. Sie stand zum Fenster gewandt, und ihr Gesicht hatte einen wehmütigen Ausdruck. Sie war zu jung, um das zu wissen, aber sie bot ein schönes Bild: die kastanienbraunen Locken und das kräftige Grün vor dem sonnenbeschienenen Ziegel- und Steinmauerwerk des Hofes.
    »Rosalind«, sagte ich.
    Sie schnellte herum, hob eine Hand an die Brust. »Oh, Detective Ryan! Sie haben mich erschreckt ... Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für mich nehmen.«
    »Gerne«, sagte ich. »Komm mit rauf, dann unterhalten wir uns.«
    »Sind Sie sicher? Ich möchte keine Umstände machen. Wenn Sie zu beschäftigt sind, sagen Sie’s einfach, und ich geh wieder.«
    »Du machst überhaupt keine Umstände. Möchtest du einen Tee? Kaffee?«
    »Kaffee wäre schön. Aber müssen wir wirklich in Ihr Büro? Es ist so ein schöner Tag, und ich bin ein bisschen klaustrophobisch. Ich sprech nicht gern darüber, aber ... Können wir nicht nach draußen gehen?«
    Das war unüblich. Aber andererseits, so sagte ich mir, war sie keine Verdächtige und noch nicht mal notwendigerweise eine Zeugin. »Klar«, sagte ich, »warte einen Moment«, und ich rannte nach oben, um den Kaffee zu holen. Ich hatte vergessen zu fragen, wie sie ihn trank, also tat ich ein bisschen Milch hinein und steckte für alle Fälle zwei Tütchen Zucker in die Tasche.
    »So, bitte sehr«, sagte ich zu Rosalind, als ich wieder unten war. »Sollen wir uns in den Garten setzen?«
    Sie trank einen Schluck und verzog kurz das Gesicht. »Ich weiß, er schmeckt furchtbar«, sagte ich.
    »Nein, nein, kein Problem – nur ... na ja, ich trinke normalerweise keine Milch im Kaffee, aber –«
    »Hoppla«, sagte ich. »Tut mir leid. Soll ich dir einen anderen holen?«
    »Oh nein! Es geht schon, Detective Ryan, ehrlich – ich brauch auch gar keinen Kaffee. Trinken Sie den hier. Ich möchte Ihnen wirklich keine Mühe machen. Es ist schon toll von Ihnen, dass Sie sich überhaupt Zeit für mich nehmen ...« Sie sprach zu schnell, zu hoch und hektisch, mit wedelnden Händen, und sie sah mir zu lange ohne zu blinzeln in die Augen, als wäre sie hypnotisiert. Sie war furchtbar nervös und versuchte mit allen Mitteln, es zu überspielen.
    »Es macht mir absolut keine Mühe«, sagte ich sanft. »Weißt du was? Wir suchen uns jetzt ein ruhiges Plätzchen, und ich hol einen neuen Kaffee. Der schmeckt dann zwar immer noch scheußlich, aber zumindest ist er schwarz. Was hältst du davon?« Rosalind lächelte dankbar zu mir hoch, und einen Moment lang hatte ich das verstörende Gefühl, sie mit meiner kleinen Nettigkeit fast zu Tränen gerührt zu haben.
    Wir gingen zu einer sonnigen Bank im Garten. Vögel zwitscherten und raschelten in den Hecken, kamen hervorgeschossen, um mit Brotresten zu kämpfen. Ich ließ Rosalind dort sitzen und ging den Kaffee holen. Ich ließ mir Zeit, damit sie Gelegenheit hatte, sich zu beruhigen, aber als ich zurückkam, saß sie noch immer vorn auf der Kante, biss sich auf die Lippen und zupfte die Blütenblätter von einem Gänseblümchen.
    »Danke«, sagte sie, nahm den Kaffee und versuchte ein Lächeln. Ich setzte mich neben sie. »Detective Ryan, haben Sie ... haben Sie herausgefunden, wer meine Schwester getötet hat?«
    »Noch nicht«, sagte ich. »Aber wir sind noch ganz am Anfang. Ich verspreche dir, wir tun wirklich alles, was wir können.«
    »Ich weiß, Sie kriegen ihn, Detective Ryan. Das hab ich gleich gewusst, als ich Sie gesehen habe. Ich kann Leute unheimlich gut auf den ersten Blick einschätzen. Manchmal macht mir das richtig Angst, wie oft

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