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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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gleich aufgefallen, wie dünn die beiden Stapel waren. Eine fünfköpfige Familie, drei junge Mädchen, da hätte man meinen mögen, die Leitung wäre ununterbrochen besetzt gewesen und es hätte ein ständiger Kampf ums Telefon getobt. Ich dachte an diese Unterwasserruhe im Haus an dem Tag, als Katy gefunden wurde, an Tante Vera, die sich in der Diele herumdrückte. »Ja, ich weiß«, sagte Sam. »Vielleicht telefonieren sie viel per Handy.«
    »Vielleicht«, sagte Cassie, aber sie klang nicht überzeugt. Ich war es auch nicht. Wenn eine Familie sich von der Außenwelt zurückzieht, dann stimmt da mit Sicherheit etwas nicht. »Aber das ist teuer. Und sie haben zwei Telefone im Haus, eins unten an der Garderobe und eins oben auf dem Flur. Die Schnur ist so lang, dass man den Apparat in jedes Zimmer mitnehmen kann. Da braucht man kein Handy, um ungestört zu telefonieren.«
    Katys Handy-Unterlagen hatten wir schon durchgesehen. Sie hatte eins mit Karte, die jeden zweiten Sonntag für zehn Euro aufgeladen wurde. Die meisten Kosten waren für SMS-Nachrichten an ihre Freundinnen entstanden, und wir hatten lange, rätselhaft abgekürzte Gespräche über Hausaufgaben, den neuesten Klatsch an der Schule und Irland sucht den Superstar rekonstruiert. Nicht eine einzige unbekannte Nummer, absolut nichts Ungewöhnliches.
    »Was bedeuten die Markierungen?«, fragte ich.
    »Ich habe die Anrufe den Familienmitgliedern zugeordnet. Katy hat anscheinend am meisten telefoniert. Die gelb markierten Nummern sind ihre Freundinnen.« Ich blätterte die Seiten um. Mindestens die Hälfte aller Anrufe war gelb. »Die blauen sind Margarets Schwestern – eine in Kilkenny und Vera in der Siedlung. Die grünen sind Jonathans Schwester in Athlone, das Pflegeheim, wo seine Mutter lebt, und Mitglieder seiner Bürgerinitiative. Lila ist Rosalinds Freundin Karen Daly, bei der sie gewohnt hat, als sie weggelaufen war. Danach werden die Anrufe zwischen ihnen weniger. Ich würde sagen, Karen war sauer, dass sie in einen Familienkrach hineingezogen wurde, aber sie hat Rosalind hinterher noch zwei Wochen lang immer wieder angerufen. Rosalind hat nur nicht zurückgerufen.«
    »Vielleicht durfte sie nicht«, sagte ich. Möglicherweise lag es nur an dem Schrecken, den Sam mir eingejagt hatte, aber mein Herz schlug noch immer zu schnell, und ich hatte einen beißenden Geschmack von Gefahr im Mund.
    Sam nickte. »Für die Eltern war Karen vielleicht ein schlechter Einfluss. Jedenfalls sind alle Anrufe zugeordnet, bis auf diese drei da.« Er breitete die Blätter mit den eingehenden Anrufen aus: drei rosa Textmarkerstreifen. »Daten, Uhrzeiten und Dauer der Gespräche passen zu Devlins Angaben. Es wurde jedes Mal aus einer Telefonzelle angerufen.«
    »Mist, verdammter«, sagte Cassie.
    »Wo?«, fragte ich.
    »Stadtzentrum. Der erste von den Kais aus, in der Nähe des Finanzdistrikts, der zweite von der O'Connell Street. Der dritte auf halber Strecke dazwischen, wieder von den Kais.«
    »Mit anderen Worten«, sagte ich, »unser Anrufer ist keiner von den Leuten in der Siedlung, die sich wegen dem Wert ihrer Häuser ins Hemd machen.«
    »Würde ich auch sagen. Der Uhrzeit nach hat er auf dem Nachhauseweg aus dem Pub angerufen, und ein Mann aus Knocknaree würde wohl kaum regelmäßig in der Stadt einen trinken gehen. Ich lass das nochmal überprüfen, aber vorläufig tippe ich auf jemanden, der kein persönliches, sondern ein geschäftliches Interesse an der Schnellstraße hat. Und ich gehe jede Wette ein, dass er irgendwo entlang der Kais wohnt.«
    »Unser Mörder ist mit ziemlicher Sicherheit aus Knocknaree«, sagte Cassie.
    Sam nickte. »Aber der Anrufer könnte einen Einheimischen beauftragt haben, die Sache zu erledigen. So würde ich das machen.« Cassie fing meinen Blick auf: Die Vorstellung, dass Sam loszog, um einen Auftragskiller zu engagieren, war einfach umwerfend. »Wenn ich rausgefunden hab, wem das Land gehört, stelle ich fest, ob einer von denen mit irgendwem aus Knocknaree Kontakt hatte.«
    »Kommst du damit weiter?«, fragte ich.
    »Na klar«, sagte Sam fröhlich und ausweichend. »Ich bin dran an der Sache.«
    »Moment noch«, sagte Cassie plötzlich. »Mit wem telefoniert Jessica?«
    »Mit keinem«, sagte Sam, »soweit ich das feststellen konnte.« Er strich die beiden Packen ordentlich glatt und nahm sie mit.

    Das alles war am Montag, fast eine Woche nach Katys Tod. Während dieser Woche hatten weder Jonathan noch Margaret Devlin auch nur

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