Grabeskaelte
überging. Umgeben von an ihm vorbei hastenden Fußgängern und Touristen, folgte er Rüdiger zum alten Rathaus. Von dort aus ging es weiter zu der vier Obergeschosse umfassenden Mädlerpassage, einer der luxuriösesten Einkaufsmeilen Leipzigs.
„Sag mal du hast doch nicht etwa vor mit mir in den ›Auerbachs Keller‹ zu gehen?“, fragte er seinen Freund als dieser auf einen der zahlreichen Eingänge zusteuerte.
„Wäre das denn so schlimm?“, antworte Rüdiger mit einer Gegenfrage. „Man sollte sich von Zeit zu Zeit auch mal etwas gönnen. Das Leben besteht schließlich nicht nur aus Arbeit. Mir war heute einfach danach dich hierher einzuladen. Du kannst dich ja bei Gelegenheit revanchieren“, fügte er augenzwinkernd hinzu.
Auf seinen lockeren Tonfall eingehend erwiderte Henning: „Ich wusste gar nicht, dass du im Lotto gewonnen hast, oder verdient man bei der sächsischen Polizei neuerdings so gut?“
Vorbei an den exklusiven Auslagen der hier ansässigen Geschäfte schlenderten sie ihrem Ziel, dem durch Goethes ›Faust‹ bekannt gewordenen Wirtshaus entgegen. Gut sichtbar über dem Eingang angebracht wiesen Faust und Mephisto, von Weinlaub umrankt, den Weg hinunter in die mächtigen Kellergewölbe.
In dem aus drei Gaststätten bestehenden Komplex hatte Rüdiger einen Tisch im Fasskeller bestellt. Die Wände zierten schon mehrfach aufgefrischte Wandmalereien, die Szenen aus Goethes ›Faust‹ darstellten. In dem Gewölbe war es kühl und behaglich. Die Bedienung, ein hübsches junges Mädchen mit unüberhörbar sächsischem Akzent, wies ihnen den Platz zu ihrem Tisch und händigte ihnen die Karte aus.
Eine Vielzahl von Speisen stand zur Auswahl. Sie entschieden sich für Zwiebelfleisch und „Leipziger Allerlei“, ein Gericht, das aus vielen zarten Gemüsesorten bestand. Um nicht auf dem Trockenen zu sitzen, fügten sie ihrer Bestellung noch eine Flasche Meißner Weißwein hinzu.
Wenig später prosteten sie einander zu. „Auf einen gelungenen Abend!“ Hell klangen ihre Gläser aneinander. Der Wein rann ihnen angenehm kühl die Kehlen hinab und veranlasste sie nach der zweiten Flasche zu philosophischen Betrachtungen, in die irgendwann auch ihr gerade aktueller Fall einfloss.
„Um bei Goethe zu bleiben“, bemerkte Rüdiger, genüsslich einen weiteren tiefen Schluck nehmend, „wünsche ich uns, dass auch wir des Pudels Kern, sprich den Mörder, finden mögen.“ Nachdem er nachgegossen hatte, meinte er nachdenklich: „Diese Cora Birkner will mir einfach nicht aus dem Kopf gehen. Den ganzen Nachmittag habe ich über das, was du mir gestern Abend erzählt hast, nachgegrübelt. Du hast dich da ja ganz schön ins Zeug gelegt! Alle Achtung! Aber wie es aussieht, bist du trotzdem keinen Schritt weitergekommen.“
Henning wollte protestieren, doch Rüdiger sprach unbeirrt weiter: „Fassen wir doch mal zusammen. Du gehst davon aus, dass Cora eines Manuskripts wegen, das mit dem Fall Kirstin Liebermann zusammenhängen könnte, ermordet wurde. Deshalb glaubst du auch nicht an Hannes Lambrechts Schuld. Vielmehr läuft deiner Meinung nach der wahre Mörder noch immer frei herum. Des Weiteren vermutest du, dass Cora den wirklichen Mörder kannte, und deshalb sterben musste. Um dein Puzzle, wie du es ja selbst bezeichnet hast, zu komplettieren, hängt nun alles davon ab, Coras Manuskript in die Finger zu bekommen. Das scheint jedoch bislang unmöglich zu sein. Der Mörder weiß demnach, dass er geliefert wäre, wenn auch nur eins davon auftauchen würde. Folgerichtig vernichtet er Coras sämtliche Unterlagen und es ist nach dem bisherigen Stand der Dinge zu befürchten, dass er, um seine Taten zu verschleiern, weitere Morde beging. An Hand des Materials, das er bei Cora fand, muss es ihm gelungen sein, weitere Adressaten, an die das Manuskript verschickt wurde, zu ermitteln. Auch der Fall der ermordeten Verlegerin könnte, wie von dir ja bereits vermutet, durchaus damit zu tun haben. Das wirft die Frage auf, wen wir nach bisherigem Erkenntnisstand als Täter zur Auswahl haben. Deinen Recherchen zufolge kommen da für mich bislang drei Personen in Frage: Dieser Kommissar Corte, Coras Patenonkel und ihr Ehemann.“
„Das sehe ich etwas anders“, mischte sich Henning an dieser Stelle in das Gespräch ein.
„Dieser Kommissar scheint zwar auf den ersten Blick einen Beweggrund zu haben, aber noch fehlt mir das entscheidende Bindeglied zwischen ihm und Cora. Bei Kandidat Nummer zwei, ihrem Patenonkel ist
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