Grabeskaelte
kann mich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal gemeinsam im Urlaub waren. Ralph war auf seiner Arbeit unabkömmlich und Cora war nicht der Typ, den es in die Ferne zog. Außerdem hatte sie Angst vorm Fliegen. Die Flughäfen können Sie also getrost schon einmal ausklammern. Dort hat sie mit Sicherheit kein Schließfach gemietet. Vielleicht sollten Sie es einmal in Zwickau versuchen. Dorthin ist Cora ab und zu mit der Vogtlandbahn gefahren. Ansonsten fällt mir im Moment nichts weiter ein.“
15
Henning blieb wieder einmal nichts anderes übrig, als abzuwarten. Das einzige, was er im Augenblick tun konnte war, Sentas Rat zu befolgen und nach weiteren Fächern Ausschau zu halten. Gleich am nächsten Morgen fuhr er mit seinem Wagen ins etwas mehr als zwanzig Kilometer entfernte Zwickau. Er parkte vor dem Hauptbahnhof. Hoffnungsvoll betrat er die Eingangshalle. Doch schon wenig später, als er feststellen musste, dass Coras Schlüssel zu keinem der hier vorhandenen Schließfächer gehörte, schwand seine Zuversicht. Die Bahnhofsstraße hinunter laufend, begab er sich ins Stadtzentrum, um dort sein Glück zu versuchen. Als erstes steuerte er das Hauptpostamt an. Doch wohin er sich in den nächsten Stunden auch wandte, konnte niemand ihm weiterhelfen. Bis Mittag hatte er alle, seiner Meinung nach in Frage kommenden Orte abgesucht. Doch Coras Schlüssel passte zu keinem der Fächer.
Henning war frustriert. Zudem verspürte er Hunger und fühlte sich abgekämpft. Er befand sich auf dem Hauptmarkt unweit des Theaters. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand sich ein Irischer Pub. Auf Grund der verführerischen Essensdüfte, die ihm von dort entgegen wehten lenkte er seine Schritte in diese Richtung. Da es seit Tagen schon sonnig und mild war, entschloss er sich sein Essen im Freien, an einem der wenigen noch unbesetzten Tische, die auf einer Terrasse vor der Gaststätte standen, einzunehmen. Seine Wahl fiel auf einen Tisch gleich neben dem Eingang, der von einem Sonnenschirm mit Bierreklame überschattet war. Nachdem er seine Bestellung aufgegeben hatte, sah er sich um. Die Plätze neben ihm hatten Berufsschüler und Studenten einer in der Stadt ansässigen Fachschule in Beschlag genommen. Unter der Kundschaft befanden sich auch einige wenige Geschäftsleute, die sich bei einem Irish Coffee für kurze Zeit von ihrem Stress erholen und etwas Sonne tanken wollten.
Wenig später hatte Henning eine leckeres Irish Stew und ein kühles Guinness vor sich stehen. Nachdem er gespeist hatte, bestellte er sich eine Tasse Kaffee, die seine Müdigkeit vertreiben sollte. Während er in kleinen Schlucken trank, überlegte er sich, was er als Nächstes unternehmen könnte, um doch noch an Coras Tagebuch zu gelangen. Doch ihm fiel nichts ein. Er zahlte, lief zum Bahnhof und fuhr nach Auerbach zurück.
16
Da für den Rest des Tages nichts anstand und das herrliche Frühlingswetter ihn nach draußen lockte, entschied Henning sich für einen Spaziergang. Nachdem er sich nach seiner Rückkehr in der Pension vergewissert hatte, dass weder Anrufe noch sonstige Nachrichten für ihn eingegangen waren, lenkte er seine Schritte stadtauswärts. Es zog ihn ins Grüne. Der Kommissar genoss es, die Sonne auf der Haut zu spüren. Rings um ihn grünte und blühte es. An der Nicolaikirche vorbeilaufend, näherte er sich dem Stadtpark. Im zartbelaubten Geäst der Bäume über ihm, entdeckte er die ersten, aus südlichen Gefilden zurückgekehrten Stare. Ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen zu haben, ließ er sich treiben.
Es dauerte eine geraume Weile, bis ihm auffiel, dass er den Weg zum Friedhof eingeschlagen hatte. Als er wenig später vor der Eingangspforte stand, wurde ihm klar, dass etwas in seinem Unterbewusstsein ihn zielgerichtet hierher geführt haben musste. Nachdem er den Gottesacker betreten hatte, lies er seinen Blick über die von hohen Fichten und uralten Bäumen überschatteten Gräberreihen schweifen. Auf Grund des milden Wetters herrschte rege Betriebsamkeit. Viele, meist ältere Leutchen, waren mit der Frühjahrsbepflanzung beschäftigt. Henning beobachtete ein altes Mütterchen, das, in ihre Arbeit versunken, vor der Ruhestätte ihrer Angehörigen kniete und gelb leuchtende Stiefmütterchen ins lehmige Erdreich einsetzte.
Augenblicklich musste Henning an Anouschka, seine Frau, denken. Zweimal im Jahr raffte er sich dazu auf, ihr Grab in Hamburg, das von Hanne, ihrer Schwägerin in Ordnung gehalten wurde, zu besuchen. Seit
Weitere Kostenlose Bücher