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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Palisandermöbeln, Jadearmbändern und Schnitzereien aus Elfenbeinimitat, bis sie schließlich auf eine immer dichter werdende Ansammlung von Schaulustigen stieß. Sie entdeckte einen uniformierten Beamten des Boston PD, der die überwiegend aus Chinesen bestehende Menge überragte, und arbeitete sich zu ihm vor.
    »Entschuldigen Sie bitte, ich bin die Rechtsmedizinerin«, rief sie.
    Der kühle Blick, mit dem der Polizist sie musterte, ließ keinen Zweifel daran, dass er genau wusste, wer sie war. Dr. Maura Isles, die Verräterin. Die Frau, die gegen einen der ihren ausgesagt hatte; gegen ein Mitglied der Bruderschaft, deren Aufgabe es war, zu dienen und zu schützen. Ihretwegen würde der Mann vielleicht im Gefängnis landen. Der Polizist sagte kein Wort, sondern starrte sie nur an, als hätte er keine Ahnung, was sie von ihm wollte.
    Sie erwiderte den Blick mit ebensolcher Kälte. »Wo ist die Leiche?«, fragte sie.
    »Da müssen Sie Detective Rizzoli fragen.«
    Er war offenbar entschlossen, es ihr nicht zu leicht zu machen. »Und wo ist sie?«
    Bevor er antworten konnte, hörte sie jemanden rufen: »Dr. Isles?« Ein junger, asiatisch aussehender Mann in Anzug und Krawatte kam über die Straße auf sie zu. »Sie warten oben auf dem Dach auf Sie.«
    »Welcher Eingang ist es?«
    »Kommen Sie mit, ich bringe Sie nach oben.«
    »Sind Sie neu beim Morddezernat? Ich glaube, wir sind uns noch nicht begegnet.«
    »Tut mir leid, ich hätte mich vorstellen sollen. Ich bin Detective Johnny Tam, District A-1. Rizzoli brauchte jemanden aus dem Viertel als Dolmetscher, und da ich bei uns der Chinese vom Dienst bin, wurde ich ihrem Team zugewiesen.«
    »Sie arbeiten das erste Mal für das Morddezernat?«
    »Ja, Ma’am. War immer schon mein Traum. Ich bin erst seit zwei Monaten Detective, da können Sie sich vorstellen, wie aufgeregt ich bin.« Energisch forderte er die Umstehenden auf, Platz zu machen, bahnte eine Gasse durch die Menge und öffnete die Tür zu einem Gebäude, in dem es nach Knoblauch und Räucherwerk roch.
    »Mir ist aufgefallen, dass Sie Mandarin sprechen. Können Sie auch Kantonesisch?«, fragte sie.
    »Sie können den Unterschied hören?«
    »Ich habe früher in San Francisco gewohnt. Da hatte ich einige chinesische Kollegen.«
    »Ich wünschte, ich könnte Kantonesisch, aber da verstehe ich nur Bahnhof«, erklärte er, als sie die Treppen hinaufstiegen. »Ich fürchte, mit meinem Mandarin komme ich hier nicht sehr weit. Die meisten von den alten Leutchen hier sprechen entweder Kantonesisch oder den Taishan-Dialekt. Die Hälfte der Zeit brauche ich selber einen Dolmetscher.«
    »Sie sind also nicht aus Boston?«
    »Geboren und aufgewachsen in New York City. Meine Eltern sind aus der Provinz Fujian eingewandert.«
    Sie hatten die Tür zum Dach erreicht und traten hinaus. Maura kniff die Augen zusammen, als die Strahlen der frühen Morgensonne sie blendeten. Die Mitarbeiter der Spurensicherung waren damit beschäftigt, das Dach abzusuchen. Sie hörte jemanden rufen: »Hier liegt noch eine Patronenhülse!«
    »Die wievielte ist das – die fünfte?«
    »Etikettieren und eintüten.«
    Plötzlich verstummten die Stimmen. Sie hatten Maura bemerkt und starrten sie an. Die Verräterin war da.
    »Hallo, Doc«, rief Jane. Der Wind zerzauste ihr dunkles Haar, als sie auf Maura zuging. »Wie ich sehe, hat Tam dich doch noch gefunden.«
    »Was höre ich da von Patronenhülsen?«, fragte Maura. »Am Telefon hast du doch gesagt, es handle sich um eine Amputation.«
    »Das stimmt auch. Aber unten auf der Straße haben wir eine Heckler-&-Koch-Automatik gefunden. Offenbar hat irgendjemand hier oben rumgeballert. Mindestens fünf Schüsse.«
    »Hat irgendwer die Schüsse gehört? Sodass wir die Zeit eingrenzen können?«
    »Die Waffe war mit einem Schalldämpfer versehen, deshalb hat niemand irgendetwas gehört.« Jane drehte sich um. »Das Opfer ist hier.«
    Maura legte Überschuhe und Handschuhe an und folgte Jane zu der verhüllten Leiche, die nahe der Dachkante lag. Sie beugte sich darüber, um die Plastikplane zu lüften, und starrte die Leiche an. Eine Weile brachte sie kein Wort heraus.
    »Tja, uns hat’s im ersten Moment auch die Sprache verschlagen«, sagte Jane.
    Die Frau war eine Weiße, Anfang dreißig, schlank und durchtrainiert, ganz in Schwarz gekleidet, mit einem Kapuzenshirt und Leggings. Die Leichenstarre war voll ausgeprägt. Die Tote lag auf dem Rücken und starrte zum Himmel auf, als hätte sie sich hier

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